Es ist Sonntagabend, man sitzt gemütlich auf der Couch, mit ein paar Snacks vor sich und möchte unterhaltsames Fernsehen gucken. Aber zur Primetime im deutschen Fernsehen ist dieser Wunsch gar nicht so leicht zu erfüllen. Zumindest wenn man Gewalt gegen Frauen und sexualisierte Gewalt nicht unterhaltsam findet.
Wie eine neue Studie über geschlechtsspezifische Gewalt im deutschen Fernsehen zeigt, kommen in 34 Prozent der betrachteten Sendungen Formen von Gewalt vor, insbesondere schwere Gewalt gegen Frauen und Kinder. Vor allem in fiktionalen Angeboten wie Krimis sei das der Fall. Initiiert und gefördert wurde die Studie durch die von der Schauspielerin Maria Furtwängler mitgegründete MaLisa-Stiftung und die Ufa. Durchgeführt haben sie die Hochschule Wismar und die Universität Rostock. Betrachtet wurden mehr als 450 Stunden Material aus 545 unterschiedlichen fiktionalen, informativen und unterhaltsamen Sendungen vom Ersten, von ZDF, RTL, RTL 2, Vox, Pro Sieben, Sat.1 und Kabel eins, die 2020 zwischen 18 und 22 Uhr ausgestrahlt wurden.
Laut der Studienleiterin Christine Linke sei geschlechtsspezifische Gewalt im deutschen Fernsehen vielfach sichtbar, die Perspektive von Betroffenen stehe aber nur selten im Zentrum. »Differenzierte Opferperspektive« nennen die Wissenschaftlerinnen es, wenn die geschlechtsspezifische Gewalt als solche identifiziert wird und Betroffene mit ihren Gedanken und Gefühlen ausführlich selbst zu Wort kommen. Lediglich in 8 Prozent der Darstellungen sei das der Fall, ist eines der Ergebnisse der Studie. Im überwiegenden Teil, bei 51 Prozent der Sendungen mit Gewalthandlungen, sei keine oder eine wirklich nur am Rande erzählte Opferperspektive zu erkennen. Kein Wunder eigentlich, sind doch viele der Frauen und Mädchen bereits in den ersten Filmminuten tot.
So wie beim letzten Tatort aus Berlin. »Eine junge Frau findet über eine Dating-App in dem Paar Dennis und Julia eine passende Verabredung. Am nächsten Morgen wird in der Nähe von Dennis’ Wohnung eine Leiche gefunden«, lautet die Filmbeschreibung in der ARD-Mediathek. Eine Beschreibung, die in keinster Weise darauf hinweist, was die Zuschauer*innen in den folgenden 90 Minuten alles zu erwarten haben: neben dem Mord nämlich auch eine Vergewaltigung, Machtmissbrauch, Körperverletzung und ein gewalttätiger Sohn, der sich sowohl gegenüber seiner Mutter als auch seiner Freundin dominant verhält.
Dass sogenannte Triggerwarnungen, also Vorabhinweise bei gewaltvollen Inhalten, im deutschen Fernsehen – und offensichtlich auch in den Mediatheken – oft fehlen, kritisiert auch die Studie der MaLisa-Stiftung und der Ufa. Es sei zudem »besonders ernüchternd«, so Studienleiterin Linke, »dass Möglichkeiten der Prävention und Hilfsangebote kaum vermittelt werden«. Insgesamt bestehe Handlungsbedarf, über geschlechtsspezifische Gewalt im deutschen Fernsehen zu diskutieren. Denn nur selten sei ein sensibler Umgang mit der komplexen Thematik zu erkennen, so das Fazit der Studie.
Und das ist ein Problem. Wenn Gewalt gegen Frauen immer wieder sichtbar, aber kaum oder gar nicht kritisiert wird, trägt das zur Normalisierung geschlechtsspezifischer Gewalt bei. Stattdessen braucht es Darstellungen der strukturellen Dimension dieser Form von Gewalt.
Wünschenswert wäre auch, sich damit zu befassen, dass der Großteil von Gewalt gegen Frauen von deren Partnern oder Ex-Partnern ausgeht. An diesem Punkt scheinen Drehbuchautor*innen und Regisseur*innen der Fiktion treu zu bleiben. Jedenfalls geht die Mehrzahl der Gewalthandlungen im deutschen Fernsehen laut der Studie von Unbekannten aus. Faktisch ist das nicht der Fall. Es sind eben nicht das Treffen über eine Dating-App oder der Spaziergang allein im dunklen Park, die für Frauen gefährlich sind. Zeit, sich von solchen stereotypen Erzählungen zu verabschieden.