Um Ronald McDonald zu sehen, muss ich lügen. Der Frau von der Werbeagentur erzähle ich am Telefon, dass ich meinen Kindern Ronald zeigen möchte. Ich bin gewarnt worden: Sag nicht, dass du Journalist bist - sonst legen sie gleich auf! Einen Moment ist es still in der Leitung, dann sagt die Frau: "Warten Sie einen Moment." Ein paar Minuten später meldet sie sich wieder: "357 Hamilton Avenue am 25. September um 14 Uhr."Die Gegend in Brooklyn um die Hamilton Avenue ist unwirtlich. Schrottplätze und Kfz-Werkstätten wechseln sich ab, dazwischen ein Kirchenkerzenladen. Der McDonald's liegt fast unter einer Autobahnbrücke, an der Arbeiter die Stahlträger schleifen. Die Luft ist gelb vom Staub. 165 farbige McDonald's-Luftballons baumeln unwirklich im Gegenlicht. Auf den Ballons steht: "Kinder sind Nummer eins bei McDonald's."Heute ist in der Filiale "Wertschätzung-des-Kunden-Tag". Am Morgen konnte man bereits das Schminken lernen. Bei einer Tombola gibt es ein Mountain-Bike zu gewinnen. Und von 14 bis 16 Uhr tritt Ronald auf. Er erkennt sofort, dass die Fotografin eine Fotografin ist. Obwohl sie nur ihre Ferien-Kleinbildkamera herausgenommen hat, um nicht aufzufallen. Okay, wir sind die einzigen Weißen in dem Laden und die Einzigen ohne Kinder.
Eine Horde Kinder umringt Ronald und schaut fasziniert zu, wie er drei rote Schaumstoffbällchen verschwinden und hinter dem Ohr eines Jungen wieder auftauchen lässt. Dann verteilt er Spielzeug für die richtige Antwort auf Fragen wie: Wie viele Luftballons hängen im McDonald's? 165. Welche Schuhgröße hat Ronald? 62. Wie bekommt man einen Elefanten aus einem Volkswagen? Genauso, wie man ihn reinbekommen hat.
Bei amerikanischen Kindern ist er so bekannt wie der Weihnachtsmann. Kritiker halten ihn für einen RattenfängerIch bewundere Ronald. Er muss die Namen der Kinder behalten, die Erwachsenen einbeziehen, seinen roten Samsonite-Koffer bewachen, aus dem die Gören immer wieder Sachen klauen wollen, und die Tricks hinbekommen. Und nun komme ich noch mit meinem leeren McDonald's-Tablett und zeige auf den dort abgebildeten Ronald: "Der sieht aber anders aus." Ronald antwortet: ,Ja, der ist kleiner." - "Bist du gar nicht Ronald?" - "Natürlich bin ich Ronald." - "Kannst du also deine Figur verändern?" Die Antwort von Ronald geht im Tumult verloren, doch seine Augen haben einen ironisch-netten Ausdruck.
Eine Kassiererin macht draußen Pause. Von ihr erfahre ich, dass Ronald ein Schwarzer ist. Das sehe man nicht durch die weiße Gesichtsmaske, sage ich. "Aber die hatte er noch nicht, als er reingekommen ist", sagt die Frau. Die Kinder im Restaurant machen sich keine Illusionen. "Das ist nicht der Ronald", sagt die siebenjährige Ketura. "Der ist im Fernsehen doch viel größer."Ronald ist bei amerikanischen Kindern fast so bekannt wie der Weihnachtsmann. Kritiker halten ihn für einen Rattenfänger: "Er verleitet Kinder zu schlechtem Essen und schlechter Gesundheit", sagt Geoffrey Giuliano, früher Ronald in Kanada, heute Vegetarier. Für McDonald's ist Ronald die zentrale Werbefigur - andere wie Grimace, Hamburglar oder Mac Tonight wurden in den Hintergrund gedrängt oder abgeschafft. Ronald steht für das Gute bei McDonald's. Er spricht in Schulen über den sicheren Umgang mit Feuer, eröffnet Ronald-McDonald-Kinderheime oder zeigt Zaubertricks in Krankenhäusern. "Ronald verkauft keine Cheeseburger", sagt Kathryn O'Dell, Executive Director der International Clown Hall of Fame.
Ronald bleibt das letzte Tabu von McDonald's. Top-Manager behaupten allen Ernstes, es gebe nur einenSeit der Amtsübernahme von Vorstandschef Jim Cantalupo Anfang 2003 veränderte sich McDonald's gewaltig. Aufgeschreckt durch Umsatzeinbrüche, den Dokumentarfilm "Super Size Me" und Gerichtsklagen von Kunden wegen Fettleibigkeit, arbeiteten Cantalupo - der im April an Herzversagen starb - und sein Nachfolger Charlie Bell an einem Imagewechsel. Aus der Fastfood-Kette soll ein Lifestyle-Konzern werden. Das "Super Size", also die Option, das Menü mit mehr Fritten und Cola aufzupeppen, wurde abgeschafft. Auf der Speisekarte finden sich mehr Salat, Jogurt und "Go-Active"-Mahlzeiten. Larry Light, Chef des globalen Marketings, spricht vom "größten Veränderungsprozess, den das Unternehmen je durchlaufen hat".
Die Wende scheint erfolgreich: Besseres Management und neue Produkte steigerten Umsatz und Gewinn. Der Aktienkurs verdoppelte sich in den vergangenen 18 Monaten fast. Das traditionell verschwiegene Unternehmen öffnet sich zudem den Medien. Nur die Identität von Ronald bleibt ein Tabu. Ausführlich erzählt mir Light stattdessen über das neue Image von Ronald: Das Maskottchen soll fit sein und über ausgewogene Ernährung Bescheid wissen. "Ronald erhält neue Kostüme fürs Basketball- oder Golfspielen." Auch habe man einen neuen Tanz für Ronald ausgetüftelt: "Do the Ronald". Light beharrt darauf, dass es nur einen Ronald gebe. Auf die Frage, wie das denn angehen könne, antwortet einer der mächtigsten Marketing-Chefs der Welt: "Das ist Zauberei." Ronalds Termine koordinieren regionale Agenturen, bei denen Restaurantmanager einen Clown für rund 300 Euro pro Auftritt anfordern können. Ronald ist oft bis zu einem Jahr im Voraus ausgebucht. "Er tritt bei mir zwei- bis dreimal im Jahr auf", so James Lewis, der acht McDonald's in New York als Franchise betreibt. Warum nicht öfter? "Ronald ist sehr beschäftigt - es gibt ja nur einen." Wie kann ein Ronald mehr als 30000 Filialen weltweit betreuen?" Lewis kontert: "Wie schafft es der Weihnachtsmann, in der Heiligen Nacht alle Häuser der Welt zu besuchen?"Auf einer Reise nach Texas habe ich vor kurzem Gail Flower kennen gelernt. Die 52-Jährige ist Chefredakteurin eines Fachblatts für elektronische Verpackungstechnologie und erzählte eine lustige Geschichte. Vor fünf Jahren traf sie in einer kirchlichen Single-Gruppe Lyle. Sie fand den fast gleichaltrigen großen Mann mit blondem Haar und blauen Augen attraktiv. Die beiden verabredeten sich zum Tennis. Das war ein seltsames Erlebnis, erzählte Flower: "Lyle traf den Ball ganz ausgezeichnet, irgendwie stolperte er aber dauernd über seine Füße." Merkwürdig fand sie auch, dass Lyle selbst nach mehreren Treffen immer wieder der Frage nach seinem Beruf auswich. "Das darf ich nicht sagen."Die beiden wurden trotzdem ein Paar. Eines Tages holte Lyle tief Luft und sagte: "Ich bin Ronald McDonald." Flower fing an zu lachen. "Nein, wirklich, ich bin Ronald McDonald", stammelte Lyle. Die beiden trennten sich nach einer Weile. Lyle heiratete später Flowers beste Freundin. Dazu muss man wissen: Ronald trägt ein gelbes Kostüm mit weißem Kragen, rot-weißen Ringelstrumpfhosen, gelbe Handschuhe und gigantische rote Halbstiefel mit gelben Schnürsenkeln. Letztere erklären den seltsamen Bewegungsablauf von Lyle. Ich rufe Flowers Freundin an und bitte auf dem Anrufbeantworter um ein Gespräch mit Lyle. Niemand ruft zurück. Ich versuche es noch ein paar Mal vergeblich.
Die Fastfood-Kette kennt keinen Spaß, wenn es um den Betriebsclown geht. Um keinen Preis dürfen die Ronalds dieser Welt ihre wahre Identität offenbaren. Laut Arbeitsvertrag droht ihnen andernfalls der Rausschmiss. Selbst wenn Darsteller nicht mehr bei McDonald's arbeiten, können gegen Plaudertaschen Geldstrafen verhängt werden. "Der Job ist begehrt", sagt Richard Snowberg, Veranstalter der Clown Camps, dem bekanntesten Ausbildungsseminar in den USA. McDonald's bietet eine feste Anstellung und ein stetes Einkommen, eine seltene Sache bei Komödianten. Nach zehn Jahren erhalten Ronalds einen goldenen Treuering. Das erzählt mir aber Snowberg nicht. "Wie gut wird der Job bezahlt?", frage ich ihn. Snowberg windet sich: "Ronald ist eine heikle Sache - wir versuchen so gut es geht, den Wünschen von McDonald's entgegenzukommen."Die Heimlichtuerei von McDonald's ärgerte Craig Oatten, Polizeichef in Saginaw, Michigan, vor ein paar Jahren gewaltig, als er sich um einen Autounfall kümmern musste. Einer der Beteiligten war ein Ronald in voller Montur, der sich wiederholt weigerte, mit seinem bürgerlichen Namen rauszurücken. Eigentlich ein Grund, ihn ins Gefängnis zu stecken. Aber weil es keine Verletzten gegeben hatte, ließ ihn Oatten laufen.
Earl Chaney ist redseliger, der Mann redet ohne Punkt und Komma. Am Telefon erklärt er den Weg zu seinem Zauberladen: "Einfacher geht es nicht: direkt um die Ecke vom Casino ,Wild Wild West' und beim riesigen Werbeschild für Vasektomie rechts reinfahren." Das Gebäude ist ein hässlicher Betonflachbau. Chaneys "Planet Mirth" versteckt sich ganz hinten. Gegenüber gibt es noch einen Zauberladen, aber mit dem ist Chaney spinnefeind. Las Vegas ist das Mekka der Zauberer, fast 700 soll es geben. Jeden Tag sitzt Chaney, einer der berühmtesten Clowns der Welt, hinter der Ladentheke, liest Zeitungen und sortiert Plastikdaumen, Spezialspielkarten oder magische Münzen. Unterhaltungskünstler aus der ganzen Welt pilgern zu Planet Mirth.
Chaney ist gerade von einer fünfmonatigen Tournee mit dem Royal Circus von London durch Asien zurückgekehrt. Der 63-Jährige trägt ein Batik-Clown-T-Shirt, Pferdeschwanz, eine goldene Rolex, Diamantringe und mehrere Goldketten. "Die Juwelen sind bestimmt 100 000 Dollar wert", sagt er. Warum in aller Welt trägt ein Clown so viele Klunker mit sich herum? Chaney ist eine Weile ruhig - das fällt auf- und sagt: "Weil ich früher beim Zirkus meinen ganzen Besitz unter dem Bett unterbringen musste."Chaney hat viel Geld. 20 Jahre lang spielte er den Ronald bei unzähligen PR-Terminen und in mehr als 60 Werbefilmen. 1982 sprang Chaney als Ronald aus einer sieben Meter großen Sahnetorte, die zum 80. Geburtstag von Raymond Kroc, dem Gründer von McDonald's auf einem Jeep angefahren wurde. "Ich war sein Clown", sagt Chaney, "er liebte mich bis zum Umfallen."Sein Laden ist ein Irrgarten: Hinter der Theke gibt es mehrere Räume, in die Chaney ausgewählte Besucher führt. Im Halbdunkeln bewundere ich fünf Meter hohe Zirkusplakate, hölzerne Slapsticks (Klatschen) und maßgefertigte Mundstücke mit Haken für Seilakrobaten. Chaney sprudelt über, erklärt jeden Gegenstand. Mit sechs Jahren wusste Chaney, dass er Clown werden wollte. Mit zwölf Jahren haute er von zu Hause in Oklahoma ab.
Chaney ist "Mr. Clown", in den sechziger und siebziger Jahren war er Chefclown beim Zirkus Ringling Brothers. Berühmtheiten wie die Popsängerin Cher oder der Schauspieler Jack Lemmon kamen regelmäßig nach der Vorstellung in seine Umkleidekabine. "Ich fühlte mich wie ein Star", sagt Chaney. Einziger Unterschied: Beim Zirkus verdiente er netto 110 Dollar die Woche und lebte in einem winzigen Zugabteil. Anfang der Siebziger war Chaney dieses Leben leid und zog nach Las Vegas.
Viermal war Chaney verheiratet. "Wie viele Kinder?", frage ich aus Routine. "Nur die offiziellen oder alle?", fragt er zurück. Insgesamt neun Kinder: "Ich war lange unterwegs", entschuldigt er sich. Die letzte Ehe sei gescheitert, weil seine 29-jährige Frau versucht habe, ihn mit Anti-Gefriermittel zu vergiften. Die vorletzte Ehe, weil seine damalige Gattin mit einem Jüngeren durchbrannte. Als sie ihn wegen Körperverletzung anzeigte - laut Chaney aufgehetzt durch den neuen Freund, um an sein Geld zu kommen - ließ ihn McDonald's wie eine heiße Kartoffel fallen. Das war 1996. Der Prozess verlief im Sande und kostete Chaney ein kleines Vermögen. "Seitdem ist Funkstille mit McDonald's. Aber die Ronalds kommen mich besuchen, wenn sie in der Stadt sind." Manchmal kommen mir Zweifel an Chaney. Er erzählt so viele fantastische Geschichten. So viel kann einfach niemand erleben. Doch im Ronald-Raum belegt Chaney viele seiner Anekdoten. An der Wand sind Fotos vom Geburtstag des McDonald's-Gründers Kroc zu sehen. Insgesamt 18 Ronald-Kostüme besaß Chaney - vom Ronald-Smoking, für "die Filmpremieren in Hollywood" bis zum Mini-Ronald-Kostüm für seinen Neffen. "Das war für den Zaubertrick mit der Schrumpfmaschine", so Chaney. Auf dem Regal stehen ein halbes Dutzend roter Ronald-Perücken. An der Wand hängen Chaneys Diplome wie der "Miles of Smiles"-Kurs oder der "Abschluss in Kinderpsychologie" der Ronald-McDonald-Universität. Auf dem Tisch stehen zwei goldene Ronald-Trophäen, die nicht nur so aussehen wie die Film-Oskars, sondern auch von der gleichen Firma hergestellt werden. Den einen "Ronnie Award" erhielt Chaney 1988 für seine Idee, von jedem Ronald individuelle Foto-Fankarten drucken zu lassen. "Schließlich sieht nicht jeder Ronald wie der TV-Ronald aus."Dann klingelt das Telefon. Sein Sohn Tom ruft an, der in Las Vegas als Tätowier-Künstler arbeitet. Die Stadtbehörde will Chaneys 23 alte Autos von seinem Grundstück weghaben. "Sie haben schon zwei abgeschleppt", ruft Chaney empört in den Hörer. Die schriftlichen Mahnungen erreichten ihn in Asien nicht. Also macht die Stadt kurzen Prozess und will in ein paar Tagen die Sache erledigen. Trotzdem spricht Chaney sechs Stunden mit mir, ich schreibe einen Block voll, und nebenher redet er auf drei Kunden pausenlos ein. Chaney lebt in einer anderen Welt. "Im Grunde genommen bin ich ein Einzelgänger", sagt er, "der froh ist, wenn er mit jemanden sprechen kann."Erfunden wurde Ronald von dem Werbefachmann Barry Klein und dem Clown Willard Scott in den sechziger Jahren. Scott gönnt mir 15 Minuten an einem Dienstag um acht Uhr morgens. Scott spielte "Bozo the Clown", eine Kindersendung, die von 1959 bis 1962 in der US-Hauptstadt Washington im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Ein lokaler Franchise-Nehmer von McDonald's platzierte auf Kleins Drängen Werbespots in der Show. "Das war wie eine Hochzeit im Himmel", sagt Scott. "Die Kombination von Bozo und Hamburgern war für Kinder unwiderstehlich."Als Scott 1962 den Bozo-Job verlor, entwickelten er und Klein einen eigenen Clown für McDonald's. Scotts Vorschlag: "Nennen wir ihn Donald McDonald." Vielleicht wegen der zu großen Ähnlichkeit mit Donald Duck änderte McDonald's den Namen. 1963 produzierte das Unternehmen drei Werbespots mit Scott, die im Umkreis von Washington ausgestrahlt wurden. Scott sah anders aus als der heutige Ronald: Auf seiner Nase klemmte ein Pappbecher, auf seinem Kopf steckte ein Papptablett, aus dem ein typisches McDonald's-Menü mit Milchshake herrausragte. "Ziemlich schräg", findet Scott heute.
Im ersten Spot konnte Scott im gelb-roten Kostüm so viele Hamburger auf ein Tablett vor seinem Bauch zaubern, wie er wollte. Im zweiten Film ging es pädagogischer zu: Ronald gab einem Jungen drei Gratis-Buletten und warnte ihn davor, mit Fremden zu sprechen. Im letzten Spot reitet Ronald auf einer Rakete zum Mond ("Die Hamburger sind wirklich nicht von dieser Welt"), um dort einen McDonald's-Drive-Inn zu entdecken.
Scott wird auf der McDonald's-Internetseite als erster Ronald geehrt - übrigens die einzige Andeutung vom Konzern, dass es mehr als einen Ronald gibt. Scotts Karriere als Ronald war 1966 zu Ende: Als McDonald's den Clown landesweit in der Werbung nutzen wollte, suchten sie sich einen anderen. Schon damals achtete man auf die schlanke Linie: "Mir ist fast das Herz gebrochen", sagt Scott. "Aber ich war zu fett."Zur gleichen Zeit nahm McDonald's Kontakt zu Michael "Coco" Polakov auf, damals ein bekannter Clown von Ringling Brothers. Anscheinend trauten die Manager und Werbefachleute der Komik eines Clowns nicht: Sie boten Coco 50 Dollar - viel Geld zu der Zeit -, wenn er einen voll besetzten Konferenzsaal in der McDonald's-Konzernzentrale in Oak Brook im US-Bundesstaat Illinois innerhalb von 30 Sekunden zum Lachen bringen könnte. Coco zeigte seinen Klassiker: Er zog an einem kleinen Faden in seiner Hand, der sein Haar wie bei einem Stromschlag nach rechts und links aufstellte. Der Saal grölte.
Als fest angestellter Clown Kinder in Schnellrestaurants zu unterhalten ist ein sonderbarer Job. Aber ein gut bezahlter.
Kurze Zeit später meldete sich McDonald's wieder bei Coco. Diesmal sollte er einen Darsteller für Ronald aussuchen. Zudem designte Coco ein Ronald-Kostüm, das weiße Make-up mit dem roten Mund und die Bozo-Schuhe. "Wie sind Sie auf die Perücke gekommen?", frage ich, weil Ronalds Haarfarbe selbst für einen Clown sehr künstlich ist. Die Idee kam Coco auf dem Nachhauseweg von dem Gespräch mit McDonald's. Coco ging in eine Boutique und fragte die Verkäuferin, ob sie nicht alte Schaufensterpuppen hätte. Im Keller fand er nach längerem Suchen das geeignete Stück: Die feuerrote Haarpracht von Ronald war ursprünglich eine Frauenperücke.
Coco alias Ronald trat im neuen Outfit erstmals 1966 bei der jährlichen Macy's Thanksgiving Day Parade in New York auf. Danach filmte McDonald's mehrere Werbespots mit ihm. Der nahm den Nebenjob nicht sonderlich ernst - damals war McDonald's noch kein großes Unternehmen. Anfragen, nur noch als Ronald zu arbeiten, lehnte Coco ab. Als sich kurze Zeit später die Schecks im Wert von 29 000 Dollar in seinem Briefkasten stapelten, die McDonald's ihm an Lizenzgebühren für die Werbefilme auszahlte, änderte er seine Meinung - doch da war es bereits zu spät. Auch sonst erwies sich Coco als -wenig geschäftstüchtig. "Wie konnte ich nur unterschreiben, dass ich auf alle Rechte für das Ronald-Kostüm verzichte?", ärgert sich der heute 81-Jährige, der in Kentucky lebt. "Ich wäre Millionär."Ein ganzer Stab von McDonald's-Managern fummelt ständig an der Werbefigur Ronald herum. In den siebziger Jahren verordneten sie Ronald kürzeres Haar, um ihn von Hippies abzusetzen. Vor fünf Jahren heuerte McDonald's einen Stylisten aus Los Angeles an, der das Haar von Ronald neu in Wellen legte. Monatelang grübelten die Experten darüber nach, ob sie die roten Streifen in den Socken vergrößern sollten. "Die Augenbrauen sind gerader geworden", analysiert Coco die Abweichungen von seinem Originalkonzept. "Das Haar ist nicht mehr so wellig, sondern steht nach oben."Nichts wird dem Zufall überlassen, auch die Ronalds sind straff organisiert. Jedem wird ein Hoheitsgebiet zugewiesen, das sich in den USA bis auf 64 000 Quadratkilometer ausdehnen kann. In Großstädten teilen sich mehrere Ronalds die Arbeit. "Wenn man einmal ein Gebiet hat, behält man es sein Leben lang", sagt Jeffrey McMullen, der als Ronald von 1983 bis 1987 Arizona und das südliche Kalifornien bereiste. Die Schätzungen schwanken, aber weltweit verdienen mindestens 300 Darsteller ihr Brot als Ronald. Je nach Zahl der Auftritte verdient ein Ronald jährlich 40 000 bis 50 000 Euro. Die Stars aus den Werbespots sollen bis zu 250 000 Euro kassieren. "Die Lizenzgebühren eingerechnet, kann man bis zu einer Million Dollar bekommen", sagt Chaney.
Was Ronald darf und was er nicht darf, ist genau festgelegt. Auf keinen Fall darf er zweideutige Witze erzählenFür die Auftritte von Ronald gibt es detaillierte Vorgaben. Seine Ansprachen haben oft ein pädagogisches Thema wie "Sprich nicht mit Fremden". Die Idee dazu hatte Chaney 1982. Ungefähr alle zwei Jahre produziert McDonald's ein neues Ronald-Programm und packt alles vom Anleitungsvideo bis zum Frage-Antwort-Katalog in eine Kiste. Die können sich die regionalen Genossenschaften, in denen die Franchise-Nehmer von mehr als 20000 Restaurants weltweit organisiert sind, für mehrere tausend Dollar kaufen. Trotz aller Vorgaben: "Es erfordert ein sehr großes Geschick, die Aufmerksamkeit von Kindern zu gewinnen", sagt Janet Tucker, ehemalige Präsidentin der World Clown Association.
Ein Problem sind Menschen mit Clown-Phobie. Ronalds bekommen beigebracht, sie früh zu erkennen. Zittern, zurückziehen und wegschauen sind klare Anzeichen für Ronald, Distanz zu halten. "Ob jemandem als Kind von einem Clown Wasser aus einer Knopfblume ins Gesicht gespritzt wurde", sagt Clown Aye Jaye, der in der Konzernzentrale als "National Field Ronald McDonald Consultant" arbeitete, "erkenne ich auf 100 Meter."Typischerweise bastelt ein Ronald aus Luftballons Tiere und zeigt kleine Zaubertricks. "Ronald schüttelt Hände, Ronald tritt nie mit anderen Clowns auf, Ronald ist ein sanfter Clown", sagt McMullen. Manche Ronalds haben Dienstwagen, Chauffeure und Leibwächter, denn "Kinder können Steine werfen, oder Demonstranten können einem in die Quere kommen", so McMullen.
Maßgeblich geformt wurde das Ronald-Programm von Aye Jaye und Chaney. Chaney jettete von Las Vegas bis Moskau durch die Welt, um heimlich Ronalds bei der Arbeit zu beobachten und zu filmen. Bei der ersten Spionage in Phoenix, Arizona, tuschelten zwei Frauen neben ihm, Ronald sehe aus wie eine Frau. Also musste der Darsteller seine lockige und zu lange Perücke umfrisieren. Ein anderes Mal interviewte Chaney den örtlichen Ronald in Denver, Colorado. Als der erzählte, im Hauptberuf sei er Landwirt und verkaufe Kühe und Hühner, und nebenher schüttele er eben "die Hände von den kleinen Bastarden", so Chaney, flog der Darsteller in hohem Bogen raus.
Aye Jaye schrieb in den siebziger Jahren die Fibel "Ronald McDonald and How", in dem minutiös alles festgehalten ist - von der Art der Schminke bis zum Umgang mit Kindern. Auf der Ronald-McDonald-Universität in der Konzernzentrale in Oak Brook hält McDonald's regelmäßig Seminare ab. Mit Problemen kämpfte Ronald anfangs in Japan. Dort bedeutet im traditionellen Kabuki-Theater ein weiß geschminktes Gesicht "Tod". Auch in Mexiko hatte Ronald in der ersten Zeit keinen leichten Stand: Clowns gelten dort als Menschen zweiter Klasse, die man ungestraft herumschubsen darf.
Nicht jeder kann ein Ronald werden. Seine Bewerbung nach Oak Brook zu schicken ist sinnlos. Regelmäßig erscheinen aber in Clown-Zeitungen wie "Circus Report" Anzeigen der kalifornischen Agentur CW&Co. mit dem Text: "Clowns gesucht!" Aus den Bewerbungen sortieren erfahrene Ronalds die Kandidaten nach Talent und Charakterstärke aus und laden zu Vorstellungsgesprächen in die jeweilige Länderzentrale ein. Erfolgreiche Kandidaten erhalten die Grundausbildung "Ronald You". Sie lernen, wie man sich Kindern mit der richtigen Körpersprache nähert. Tabu sind doppeldeutige Witze. Auch einige Zaubertricks stehen auf der Verbotsliste. Beispielsweise wäre das unter einigen Clowns beliebte Kunststück, Kindern eine Kragenmanschette umzulegen und dann ein Zauberschwert von hinten hineinzustoßen, das vom aus dem unversehrten Kinderhals wieder herausragt, ein schwerer Fehltritt. "Auf keinen Fall darf ein sexueller Unterton mitschwingen", sagt Aye Jaye. "Sonst hagelt es Schadenersatzklagen."Ein Ex-Ronald konvertierte zum Vegetarismus, erklärte McDonald's den Krieg und verschwand vor zwei JahrenEinmal im Jahr treffen sich die Ronalds aus der ganzen Welt zum Beispiel in Belgien oder England. "Wir sind wie eine Bruderschaft", sagt McMullen. "Wir nehmen das sehr ernst." Die Konferenz ist hochgeheim und fand 2004 im kalifornischen Disneyland statt. Dort hielt McDonald's-Marketingchef Light eine Ansprache, die einige Ronalds in Aufruhr versetzte. Light stellte unmissverständlich fest: Die Ronalds müssen abnehmen. Wer nicht so schlank wie der TV-Ronald wird, muss um seinen Job fürchten. "Das ist nicht fair", sagt der ehemalige Ronald-Darsteller Joe Maggard, der bei der Konferenz nicht dabei war, aber zahlreiche Anrufe von Kollegen erhielt. "Ich liebe McDonald's-Essen - viele Ronalds sind furchtbar verärgert."Für Chaney ist das nichts Neues. Schon immer sei zu dicken oder zu alten Ronalds nahe gelegt worden aufzuhören: "Fett absaugen, Diätfarmen - das alles gehört zur Zunft", sagt Chaney. Offiziell gibt es allerdings keine Ruhestandsregelung, die Ronalds sollen selbst die Flinte ins Korn werfen, wenn sie nicht mehr ins Unternehmensbild passen.
Geoffrey Giuliano war für 18 Monate der Ronald in Toronto. Aus Abscheu vor dem Job kündigte er. Als er im Fernsehen den "Marlboro-Mann" mit Lungenkrebs sah, der für das Nichtrauchen warb, ging der Vegetarier Giuliano ebenfalls an die Öffentlichkeit. Nach den Auftritten war er seiner Meinung nach "der Feind Nummer eins" für McDonald's.
"Sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr bin ich bereit, diesen Goliath zu bekämpfen", wetterte Giuliano 1997 in einem Interview. Doch heute ist er unauffindbar. Er änderte seinen Namen in "Jagannatha Dasa" und eröffnete Ende der Neunziger einen Hindu-Tempel in Lockport im US-Bundesstaat New York. Seine Jünger gaben Giuliano den Titel "Puripada", der auf Sanskrit "Diener des Herrn des Universums, zu dessen Füßen die heilige Stadt Puri liegt" heißt.
In Lockport war Giuliano nicht beliebt. In einem Gespräch mit der "Vaishnava News" erzählte Giuliano von Bemerkungen wie "Kokainhändler, Teufelsanbeter oder Kidnapper", die er, seine Frau und ihre vier Kinder sich anhören mussten. Im örtlichen Schuhladen "Payless Shoes" erhielt Giuliano Hausverbot, als er sich weigerte, für seinen Einkauf die Steuern zu zahlen, schließlich hätte er eine religiöse Institution, das "Spiritual Realization Institute", gegründet. Seine Heiligkeit Jagannatha Dasa verschwand vor zwei Jahren von der Bildfläche, als sich herausstellte, dass er eine CD gefälscht hatte, auf der die Vergiftung des Hare-Krishna-Gründers mit dessen letzten Worten belegt werden sollte.
Der 51-Jährige schrieb rund 20 Bücher, die meisten über die Beatles. Auch als Autor zog sich Giuliano einige Feinde in der Fangemeinde zu. Es drängt sich der Verdacht auf: Der Mann sucht Ärger. Laut Giuliano änderte McDonald's nach seiner Kündigung alle Arbeitsverträge - ehemalige Ronalds dürfen nicht mehr über ihre Arbeit reden und erhalten Geld, wenn sie sich daran halten.
Der fünfjährige Adrian hat Geburtstag. Ronald packt eine Fahne aus, auf der "Happy Birthday" steht. Die stopft Adrian Zug um Zug in eine verchromte Flasche. Ronald schraubt den Deckel zu, schwenkt den Behälter, und alle Kinder rufen "Abrakadabra". Ronald öffnet die Flasche, und mit einen Knall flattert lilafarbenes Konfetti auf Adrian nieder.
Am Ende der zweistündigen Vorstellung in Brooklyn bin ich erschöpft vom Zuschauen. Ronald lässt sich zum Abschied mit Kindern fotografieren. Auch ich gehe hin und frage nach einem Foto. Und ehrlich: Wie wir beide uns die Arme auf die Schulter legen und in die Kamera strahlen, bin ich gut gelaunt und aufgekratzt. "Vielen Dank, Ronald", sage ich. "Nicht der Rede wert", sagt er. Ich halte ihm die Hand hin und versuche es ein letztes Mal: "Wie ist dein richtiger Name?" - "Ronald", sagt er und schaut mich mit einem amüsierten Blick an. "Ich bin Ronald."