ADZINE: Lieber Sven, wie ist es Thomann während des Lockdowns ergangen?
Sven Schoderböck: Die Pandemie war für uns alle eine große Herausforderung und sie hat auch allen Leuten bei Thomann viel Disziplin und Optimismus abverlangt. Positiv betrachtet hatten wir durch die zwei Lockdowns zwei geschenkte Weihnachtsgeschäfte, da sich unglaublich viele Menschen während dieser Zeit entschieden haben, ein Musikinstrument zu erlernen oder wieder mit dem Musizieren zu beginnen. Auf der anderen Seite hat die Pandemie Livemusiker und Veranstalter hart getroffen und praktisch mit einem Berufsverbot belegt. Unabhängig von allen monetären Faktoren war das für viele Menschen eine unglaubliche Tragödie.
Wir haben zu jeder Zeit versucht, das Beste daraus zu machen und auf Sicht zu fahren. Es war zum Glück zu jeder Zeit genug Arbeit da, sodass wir auf Kurzarbeit verzichten konnten. Unseren Freelancern und Dienstleistern haben wir von Anfang an eine Beschäftigungsgarantie gegeben, um ihnen Sicherheit zu geben. So konnten sie Einkommen, das ihnen an anderer Stelle weggebrochen ist, bei uns wieder reinholen und wir konnten Projekte umsetzen, die teilweise seit vielen Jahren auf unserer Roadmap waren.
Insgesamt würde ich schon sagen, dass Thomann zu den Corona-Profiteuren zählt, aber trotzdem hätte keiner von uns diese Pandemie gebraucht.
ADZINE: Bislang hattet ihr Europa im Visier, doch nun liefert Thomann gar bis in die USA? Wie ist das gekommen und welchen Stellenwert habt ihr in den Staaten?
Schoderböck: Das ist richtig – wir haben uns bisher immer auf Europa konzentriert, weil wir hier eben gewisse Qualitäts- und Servicestandards garantieren können und die Logistik größtenteils reibungslos läuft.
Dadurch, dass Thomann aber immer mehr zum Medienunternehmen wird und wir auf vielen verschiedenen Plattformen Content ausspielen, können wir uns ja praktisch gar nicht dagegen „wehren“, dass Musikerinnen und Musiker auf der ganzen Welt unsere Inhalte sehen und Equipment, das wir zum Beispiel in unsern Youtube-Videos zeigen, auch kaufen möchten. Das hat tatsächlich dazu geführt, dass einige unserer Eigenmarken inzwischen in den USA so einen „Geheimtipp Made in Germany“-Status haben und viele Kundinnen und Kunden von dort ordern.
ADZINE: Sind die Korken geknallt, als die eine Milliarde Umsatz erreicht wurden?
Schoderböck: Zum Feiern war uns letztes Jahr nicht wirklich zumute, aber es war schon ein wahnsinniges Gefühl, als kleines unabhängiges Familienunternehmen vom Lande – in einem Hobby-Nischenmarkt – eine Milliarde zu knacken. Da hält man schon mal inne und spult die letzten 20 bis 25 Jahre ab, in denen wir vom stationären Laden zur Mailorder-Company, dann zum Logistiker, dann zum E-Commerce-Unternehmen, dann zum IT-Unternehmen und jetzt zum Medienunternehmen wurden. Das war schon ein unglaublicher Ritt!
ADZINE: Was ist euer E-Commerce- beziehungsweise Marketing-Geheimnis?
Schoderböck: Also ein wirkliches Geheimnis ist es nicht, aber wir haben immer versucht, für alles einen „Thomann-Way“ zu entwickeln. Wir hatten nie Berater, wir benutzen keine Standard-Tools, unsere Organisation ist eher gewuchert als gewachsen.
Kurzum: Wir versuchen immer zu erahnen, was unsere Kunden als Nächstes von uns wollen und dann setzen wir das so um, wie wir das für richtig halten.
ADZINE: Just Music hat seinen Flagshipstore in Hamburg aufgegeben, es gibt nur noch Berlin als stationäre Verkaufsfläche. Was hat euer Wettbewerb(er) falsch gemacht?
Schoderböck: Unser Wettbewerb hat gar nichts falsch gemacht. Unsere Branche ist zwar die geilste der Welt, aber betriebswirtschaftlich nicht für den Einzelhandel rentabel.
Nur acht Prozent der Bevölkerung machen Musik und diese acht Prozent teilen sich auf 3.000 verschiedene Produkt- und Instrumentenkategorien auf. Die Margen sind extrem niedrig, da es viele Vertriebe und Mittelsmänner in der Wertschöpfungskette gibt und mit diesen Vorzeichen ist es praktisch unmöglich, rentable Läden zu betreiben.
Selbst unser Laden in Treppendorf wird subventioniert – und wir zahlen ja keine Miete.
ADZINE: Ein Teil des Marketing-Teams sitzt in Hamburg, ebenso ein Teil der Redaktion. Dennoch ist Treppendorf nicht aus der Welt, mit den mehr als 1.200 Angestellten. Anfang Oktober ladet ihr zum Tag der offenen Tür ein; ihr bietet viele Ausbildungsplätze an. Wie wird das in der Region und darüber hinaus wahr- und angenommen?
Schoderböck: Wir haben inzwischen 14 externe Standorte – unter anderem vier Standorte für Entwickler, drei für unsere Online-Magazine, verschiedene Einkaufsbüros im Ausland und so weiter. Trotzdem ist und bleibt unser Hauptstandort in Treppendorf und wir versuchen, möglichst viele Kollegen dort vor Ort zu haben.
Schon vor einigen Jahren war abzusehen, dass unsere größten Wettbewerber nicht mehr Musikhändler sein werden, sondern Arbeitgeber aus der Region, um die wir um die besten Talente kämpfen. Genauso ist es jetzt gekommen. Wir haben permanent knapp 100 Stellen offen, wollen auch dieses Jahr wieder um 150 bis 200 Mitarbeitende wachsen und wir müssen zusehen, dass wir als Arbeitgeber attraktiv genug für zukünftige Kolleginnen und Kollegen sind.
ADZINE: Im Gespräch vor einigen Jahren sagtest du, dass ihr nicht allein Herausforderungen im digitalen Marketing hättet, sondern auch eine jüngere Riege braucht, die dichter an den heutigen technologischen Anforderungen sei. Wie ist der Status quo?
Schoderböck: Es ist tatsächlich so, dass E-Commerce bei Thomann immer ein Unterbereich von Marketing war. Inzwischen machen wir aber 97 Prozent unseres Umsatzes mit E-Commerce und der Bereich Marketing umfasst fast alles, was irgendwie digital ist.
Das heißt, die kommende Herausforderung für das Unternehmen wird sein, die Welten zusammenzubringen und mehr digitale Denke, Disruption und Innovationskraft in alle Bereiche zu bringen.
ADZINE: Am 1. Juli konntest du dein 25-jähriges Jubiläum bei Thomann begrüßen. Du hast das Familienunternehmen zusammen mit dem Chef Hans Thomann Junior groß gemacht. Gibt es noch neue Herausforderungen für dich?
Schoderböck: Zuerst einmal bin ich unglaublich stolz und dankbar dafür, dass ich die Chance bekommen habe, in so einer spannenden Zeit in so einem tollen Unternehmen so viel geilen Scheiß zu bauen, der von so vielen Menschen da draußen genutzt und gemocht wird. Herausforderungen würden mir bei Thomann noch hunderte einfallen, trotzdem habe ich mich vor ein paar Monaten entschieden, dass Ende des Jahres für mich dort Schluss ist.
Ich habe dort alles erreicht, alles gesehen und alles erlebt. Nach 25 Jahren bei einem Unternehmen interessieren mich auch mal andere Branchen, andere Geschäftsmodelle und Unternehmen, die keinen „Digitalen Missionar“ nötig haben, wenn du verstehst, was ich meine…
ADZINE: Klar doch! Was hast du jetzt vor?
Schoderböck: Ganz ehrlich: Ich weiß es noch nicht. Ich habe jetzt 25 Jahre praktisch 24/7 gearbeitet und hatte meinen Fokus immer auf Thomann… Da fühlt sich’s erstmal schräg an, am 31.12. meinen Mund abzuwischen und ab 1.1. einem neuen Meister zu dienen.
Ich kann mir gut vorstellen, in eine Art Business-Angel-Rolle zu gehen oder zusammen mit meiner Familie selbst etwas zu gründen, um meine Kinder ein bisschen an das Thema heranzuführen. Ich kann mir aber genauso gut vorstellen, nur noch Big-Data-Projekte in irgendeinem coolen Startup zu entwickeln. Schaumermal.
Ich mache mir jedes Jahr Challenges und eine meiner Challenges für 2021 war, dass ich zehn Praktika in zehn verschiedenen Unternehmen machen möchte. Sechs Praktika habe ich schon hinter mir – unter anderem bei Babyone, Decathlon und Das Ist Web – und da konnte ich auch sehr viel über andere Branchen und deren Struggles lernen. Das finde ich mega spannend und ich denke, dass ich da auch ein wenig was von meiner Erfahrung mit einbringen konnte.
Vielleicht hat ja auch einer eurer Adzine-Leserinnen oder Leser Leser einen Praktikumsplatz für mich. Ansonsten konzentriere ich mich aktuell darauf, eine ordentliche Übergabe für meine 47 Teams zu machen. Das wird sicherlich auch noch bis Ende des Jahres dauern.
ADZINE: Lieber Sven, wir danken dir herzlich für das Gespräch und hoffen auf weitere erfolgreiche Challenges.