Für ganze drei Tage erlebt der Plattenladen Kiox eine Renaissance. Es wird nur ein Produkt geben, denn im Gegensatz zum ehemaligen Tonträger-Geschäft von Jan Brummer verkauft sein Sohn Felix alias KUMMER im Store ausschließlich und exklusiv sein Solo-Debüt, selbstverständlich beworben mit Live-Performances.
Für den zwischen Platten und CDs sozialisierten, zusammen mit seinem Bruder Till vom angestellten Fachverkäufer, einem gewissen Trettmann, beaufsichtigten, Sprößling des Musikers der legendären AG. Geige kam es folgerichtig wie es kommen musste:
Bandgründung und unversehens wurden Kraftklub nach Katarina Witt und der Band seines Vaters zu den nächsten Shooting-Stars aus einer der grauesten Mäuse unter den deutschen Städten.
Einer Stadt, in der das Dasein als nicht meinung-mainstream-affiner Adoleszent so hart war, wie seine beeindruckende Vorab-Single „9010“ berichtete, und wovon viele Bewohner der ostdeutschen Provinz ein eigenes Lied singen könnten – und zwar nicht erst seit dem Mauerfall.
Trotzdem bedeuten diese Orte Heimat, und wenn sich das Leben dort mitunter anfühlt wie auf dem dystopisch über die Platte dampfenden „Schiff“, dessen qualmende Esse den gedämpften Grundtenor in viele Ecken von „Kiox“ bläst:
Es bindet Menschen an ihre Umgebung wie den Protagonisten symbiotisch an Chemnitz.
Mit 30 ist es generell nicht falsch, ein erstes Fazit bezüglich des eigenen Werdegangs zu ziehen. „Der Rest Meines Lebens“ wird im vorliegenden und in vergleichbaren Fällen, trotz – und vor allem wegen – der gesellschaftlichen Um- und Missstände, nicht zwangsläufig im Inhalt dieses Songs, bei dem Max Raabe mitmischt, enden.
Dabei hilft die kritische Selbstreflexion, mit der Felix Brummer meist in knackigen drei Minuten Autobiografisches aufarbeitet, sich, im Gegensatz zu den Angesprochenen von „Wie Viel Ist Dein Outfit Wert“, nie im Oberflächlichen verliert und dabei den Kraftklub-Slang auf ein Sprechgesangsformat transformiert.
Geholfen haben Produzent BLVTH und neben dem bereits erwähnten Max Raabe die Deutsch-Rap Genre-Größen LGoony und KeKe, und wenn die Tracks auch nicht für die inzwischen riesigen Produktionen seiner Hausband geeignet schienen:
Felix Brummer bleibt auch solo gemeinsam mit Casper, Marteria und vielen anderen Künstlern aus der Kraftklub-Generation Sprachrohr und Gegenpol zu gefühlsduseligen, zeitgeistkonformen, einheimischen Musikindustrieprodukten.
Auf „Kiox“ findet sich alles außer „verweichlichte Befindlichkeitsscheiße“ wie „Nicht Die Musik“ den Inhalt der Platte bezeichnet.
So ehrlich und authentisch wie hier erzählt wird, bleibt es auch in Karl-Marx-Stadt ganz schön „Okay“.