Tinder-Match. Schreiben, schreiben, schreiben. Erstes Date im November. Voll verknallt. Ich liebe dich. Mama, Papa, Stiefmama, ich möchte euch jemanden vorstellen. Gemeinsames Weihnachtsfest. Und dann …
Es ist ein Mittwochmorgen Ende Januar. Anne-Sophie Keller und ihr Freund kennen sich unterdessen acht Wochen, verbringen jede freie Minute zusammen, küssen, lieben sich, sprechen über die Zukunft, was sie vom Leben erwarten, sich erhoffen und erträumen. Alles ist aufregend, neu, leicht, schön. Die Schmetterlinge, die Emotionen, der Sex. Nun aber sitzt die 30-Jährige auf dem Boden ihres Badezimmers und starrt zwei rote Striche an, die alles verändern.«Mein erster Gedanke? Fuck!», erinnert sie sich. «Alles in mir sagte deutlich Nein, und zwar so stark, wie ich es noch nie in meinem Leben gespürt hatte.»
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Davor war sie überzeugt, dass sie nie abtreiben könnte. Nicht aus moralischen Gründen, wie sie betont. Als Gesellschaftsjournalistin und Autorin macht sich Anne-Sophie Keller schon jahrelang für die Rechte der Frauen stark, hat etliche Beiträge über die Fristenregelung verfasst, ein Buch über die Schweizer Frauenrechtlerin Iris von Roten geschrieben. «Ich dachte immer, wenn es so weit ist und ich ein Kind erwarte, bin ich voller Liebe und finde es dann sicherlich okay», erinnert sie sich.
Eine grosse Entscheidung
Doch als sie tatsächlich schwanger ist, greift sie zum Handy und ruft eine Frauenärztin an, die ihr drei Jahre zuvor für einen Zeitungsartikel erklärt hat, welche Möglichkeiten für den Schwangerschaftsabbruch zur Verfügung stehen. Danach weckt sie ihren Partner mit den Worten auf, dass sie noch nicht bereit sei und schon alles organisiert habe. «My body, my choice. Ich wusste allerdings bereits, dass er zu diesem Zeitpunkt noch keine Kinder wollte», erzählt Anne-Sophie Keller.Bei der Frauenärztin füllt Keller ein zweiseitiges Formular aus, unterschreibt es. Die einzige administrative Hürde, die es bei einem Schwangerschaftsabbruch vor der zwölften Woche gibt. Wichtiger ist allerdings das ausführliche Gespräch, das die beiden mit der Frauenärztin führen. «Es war eine sehr einfühlsame und unterstützende Unterhaltung, bei der die Ärztin herausfinden wollte, ob unser Entscheid wirklich durchdacht ist», erzählt Anne-Sophie Keller. Sie hatte Glück. Denn nicht überall sei dieses Wohlwollen vorhanden: «Ich habe von Frauen erfahren, die in grossen Spitälern waren und schnell gespürt haben, dass der Arzt oder die Ärztin die Abtreibung eigentlich nicht in Ordnung findet.»
Eine Woche vergeht. Die beiden Frischverliebten verbringen sie zusammen, diskutieren, weinen. Nicht aus Zweifel. «Wir waren uns unserer Entscheidung sicher, aber es blieb eben trotz allem eine grosse Entscheidung.»
An einem Dienstagnachmittag im Februar schluckt Anne-Sophie Keller drei Tabletten Mifegyne, das den Muttermund öffnet und die Gebärmutterschleimhaut löst. 24 Stunden später beginnt sie zu bluten. Ihre Frauenärztin trägt ihr auf, beim Pinkeln alles mit einem Sieb aufzufangen und in einem mit Wasser gefüllten Konfitürenglas aufzubewahren. Beim Klinikbesuch am nächsten Tag zeigt sich, dass sich zwischen den Blutfetzen auch ein Stück Gewebe in der Grösse eines Fingernagels befindet – darin ein Embryo, nach sechs Wochen Schwangerschaft ist er gerade einmal zwei Millimeter gross.
Es ist vorbei. Anne-Sophie Keller gehört zu jenen 3 Prozent, bei denen das erste Medikament erfolgreich ist und kein zweites, wehenauslösendes Präparat nötig wird, um die Schwangerschaft zu beenden. Auch heute, mit anderthalb Jahren Abstand, sagt sie: «Dieser Entscheid war absolut richtig. Für mich, für uns, aber auch für das Baby. Ein Kind verdient ein klares Ja. Kein ‹Ja gut, dann machen wir das halt›.»
Das Gefühl, das bleibt, ist die Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass sie in einem Land lebt, in dem sie das Recht hat, über ihren eigenen Körper zu bestimmen. Dankbarkeit für ihren Job, der es ihr erlaubt, 1200 Franken für die Abtreibung zu bezahlen. «Dankbar bin ich aber auch meinen Interviewpartnerinnen, die über ihre Erfahrungen zum Thema Abtreibung berichtet haben. Dadurch konnte ich mir früh eine differenzierte Meinung zum Thema bilden.»
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