Seit 35 Jahren auf Index, wurde der Song „Sibling Love“ von den Ärzten in einem Interview vorgestellt – Unterhaltung

Bela B. ist eine Kunstfigur, die im Film Bel auftaucht. „Sie haben damals die Macht der Inzestthematik total unterschätzt“, sagt (l) und Farin Urlaub. Kirsten Neumann/dpa/dpa/dpa/dpa/dpa/dp

Die Ärzte sind eine der beliebtesten Bands des Landes. Seit Jahrzehnten steht ihr Song „Geschwisterliebe“ auf der Liste. Für junge Punks erklären Farin Urlaub und Bela B, was das bedeutet.

Berlin – Es ist verboten, das Lied öffentlich zu zitieren, weil es jugendgefährdend wäre. Der Song „Geschwisterliebe“ der Punkrockband Die rzte handelt von Inzest, Bruder-Schwester-Sex und der damit verbundenen unverhüllten Lust.

Das Lied wurde vor 35 Jahren, am 27. Januar 1987, in den Index aufgenommen. Heute ist das Lied immer noch beliebt. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur in Berlin erläutern Texter Farin Urlaub (58) und Bandkollege Bela B (59) die Auswirkungen.

Frage: Wie beurteilen die Ärzte den Fall jetzt, nachdem sie ihn rückblickend betrachtet haben?

Farin Urlaub: In erster Linie finde ich es amüsant, dass ich als 15-Jähriger diesen jugendgefährdenden Text überhaupt schreiben konnte – ganz zu schweigen von meiner sexuellen Unerfahrenheit. Wir haben den Song jahrelang live gespielt, angeblich um zu provozieren, bevor wir ihn für das dritte Album aufgenommen haben – und CBS, unsere damalige Plattenfirma, hatte nichts dagegen. Nur Spießer regen sich auf, also haben wir die Macht dieses Inzestthemas völlig unterschätzt und nicht darüber spekuliert. Abgesehen von ein paar gewalttätigen Horrorfilmen hatten wir noch nie etwas von Indizierung gehört. Es ging eher darum, Vorbild zu sein, glaube ich, bis heute. Vielleicht liegt es daran, dass mir soziologisches Verständnis fehlt, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand durch dieses alberne Lied zum Inzest verführt wird, selbst wenn er die besten Absichten hatte.

Belà B: Ich war mit der Aufregung damals zufrieden, weil sie meine Wahrnehmung von Punkrock widerspiegelte. Jeder beim Plattenlabel tat so, als wäre es kein großes Problem. Nur einer der Angestellten, die ich interviewte, nahm mich zur Seite und sagte, er würde diese Lieder seinen Töchtern nicht vorspielen und er hätte ein ernstes Problem damit. Erst da wurde mir klar, dass wir völlig unterschiedliche Geschmäcker haben. Wir waren noch zu jung, um zu verstehen, was unsere Eltern damals dachten. Die Aufnahme unseres Debütalbums in den Index sollte ganz klar als Beispiel dienen.

Was waren die wirtschaftlichen Auswirkungen und wie schwerwiegend waren sie?

Seit 35 Jahren auf Index, wurde der Song „Sibling Love“ von den Ärzten in einem Interview vorgestellt – Unterhaltung

Farin Urlaub: Wir haben nach der Indizierung und insbesondere nach der darauf folgenden sensationellen Beschlagnahmung unserer Alben in manchen Plattenläden von einem Tag auf den anderen mit dem Plattenverkauf aufgehört. Plattenhändler, verständlicherweise beunruhigt, schickten auch unsere nicht indizierten Tonträger zurück. Und dаs Radio wollte sich mit den Drecksäcken erst gar nicht die Hände schmutzig machen. Auch Konzerte wurden verschoben oder ganz abgesagt. Wir hatten neun Monate lang fast kein Geld mehr, aber Gema war so freundlich, uns weiter zu bezahlen. Die Auflösung der Band war schon vorher diskutiert worden, aber so schnell wollten wir nicht aufgeben – das Böse siegt immer, oder? Aber dann drehte sich die ganze Geschichte auf den Kopf und wir wurden in Schurken verwandelt. Unsere jungen Punkfahnen wurden vom Wind erfasst!

Belà B: Diese breite Front gegen uns war ehrlich gesagt auch für mich befriedigend. In einer Talkshow hat mich ein Vater angeschrien, es gab Demonstrationen vor unseren Konzerten, es wurden Flugblätter gegen uns gedruckt, und Infostände über unsere Konzerte, die von CSU und Grünen gemeinsam organisiert wurden. Das hat mir, um die Wahrheit zu sagen, Spaß gemacht.

Frage: Hat sich die Indexierung auf spätere Texte ausgewirkt?

Farins Urlaub: Es dreht sich alles um das Nötigste. Wir trafen schnell die Entscheidung, nicht mehr darüber zu reden. Mit dem Album „Ab 18“ wurde das Thema für uns entschieden. Wie viele Skandale kann man sich ausdenken, bevor es willkürlich und offenkundig wird? Später provozierten wir lieber nach Geschmack, was nie wirklich kriminelle Folgen hatte – weil so vieles in Deutschland nicht verboten ist. Der Lauf der Zeit ist ein Akt der Kunst, und der Akt der Kunst ist ein Akt der Freiheit. Später wurde es uns wichtiger, Tabus zu brechen, wie in „Omаboy“, „Sometimes Women“ und „My Friends“, oder große Themen subtiler in Popmusik zu verpacken, wie in „M&F“, „Lasse redn “, „Ein Schwein namens Men“ und „Antizombie“.

Wo kann die Indizierung in der heutigen Welt aktuell gehalten werden?

Farin Urlaub: Das Aufstacheln zu Gewalt oder das Schüren von Hass gegen bestimmte Personengruppen – was oft mit Entmenschlichung einhergeht – hat meines Erachtens keinen Platz in einer liberalen Gesellschaft, geschweige denn in der Kunst.

Belà B: Das war es aber schon, denn аm muss fast alles können.

Farin Urlaub (*1963 als Jаn Vetter in Berlin) ist eine Figur des Films. Die Ärzte sind seine Band, und er ist der Sänger und Gitarrist. Dirk Felsenheimer heißt mit bürgerlichem Namen Belà B und wurde 1962 in Berlin geboren. Er ist Schlagzeuger und Leadsänger der weltbesten Band („Scream for Love“, „Men аre Pigs“). Rodrigo „Rod“ Andrés González Espndolа, ein 1968 geborener Chilene, hatte sich noch nicht der „Geschwisterliebe“ angeschlossen. Seit der Ärztereform 1993 nach zwischenzeitlicher Trennung ist er als Bassist Mitglied der Band.

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