Der Flughafenmitarbeiter bemitleidet mich: „Was haben sie für einen Trip vor sich“, sagt er beim Check-in-Schalter in Hamburg. Mit dem Abendflug will ich nach Dubai und am nächsten Morgen nach vier Stunden Aufenthalt weiter bis Auckland. Denn seit dem 1. März fliegt Emirates nicht nur drei Mal täglich von Dubai mit einer Zwischenlandung in Sydney, Melbourne oder Brisbane in Australien nach Neuseeland, sondern mit dem kurzfristig angekündigten neuen Flug EK 448 erstmals nonstop - in knapp 16 Stunden.
Damit wird dieser Flug über 14.600 Kilometer zu dem zur Zeit längsten Linienflug. Nicht nur von der Entfernung her, sondern auf dem Rückflug in westliche Richtung mit 17 Stunden und 20 Minuten sogar zum zeitlich längsten. Bisherige Rekordinhaber der Ultra-Langstrecke sind Verbindungen wie Sydney-Dallas von Qantas (13.804 km), Johannesburg-Atlanta von Delta Air Lines (13.582 km) oder Abu Dhabi-Los Angeles von Etihad (13.502 km), deren Flugzeiten je nach Jahreszeit und Winden variieren.
Die Reise nach Auckland hatte für mich schon vor der S-Bahn-Anfahrt zum Flughafen mit dem Überstreifen der Fly&Care-Kniestrümpfe begonnen, wie der Hersteller seine Anti-Thrombosestrümpfe nennt. Eine hilfreiche Maßnahme, denn die reine Flugzeit der neuen One-Stop-Verbindung beträgt immer noch stolze 22 Stunden. Die anderen Routen mit zwei Zwischenstopps erfordern mindestens sogar 26 Stunden.
Piloten nutzen Jetstream aus
In Dubai herrscht an Gate B21 kein großes Gedränge. „EK448, Auckland, Boarding“ steht auf der Anzeigetafel. Doch glänzt hinter den Glasscheiben eine unerwartete Sensation: Statt einer Boeing 777-200LR, einer speziellen Ultra-Langstreckenversion, wie der Flugplan ankündigte, leuchtet in der Morgensonne ein weißer Airbus A380 von Emirates. Schafft das doppelstöckige Flugzeug überhaupt diese Strecke? Wie sich herausstellt, sind nur 305 statt möglicher 491 Passagiere an Bord. Durch die geringere Auslastung erhöht sich die Reichweite.
Bei der Begrüßung an Bord spricht Purser Petr Bogdalek von einem „aviation milestone“, den wir heute erleben werden. „7900 nautische Meilen oder 14.600 Kilometer“, ergänzt der Kapitän in seiner Ansage: „Nach meiner Kenntnis wird es der längste Flug, den je ein Airbus A380 unternommen hat.“
Der Vorteil des kurzfristigen Flugzeugwechsels. Die A380 ist sehr viel komfortabler, bieten in allen Klassen mehr Platz und fliegt leiser. Ich muss schon genau hinhören, wie nacheinander beim Pushback die vier Triebwerke angelassen werden, tief Luft holen und vom anfänglichen Superbass auf mittlerem Sound-Niveau brummen. Jetzt haben sie Betriebstemperatur erreicht, und der Koloss rollt in Richtung Startbahn.„We expect a smooth ride“, beruhigt der Kapitän.
Um 10.20 Uhr Ortszeit heben wir ab, mit einem Gewicht von 566 Tonnen. In Deutschland ist es erst 7.20 Uhr, am Zielort in Auckland bereits 19.20 Uhr – neun Zeitzonen werden wir überfliegen. Am nächsten Tag sollen wir gegen 11 Uhr landen. Doch günstige Rückenwinde von 30 km/h, die die Route laut Wettervorhersage mitbestimmen, dürften für eine Verkürzung sorgen.
Nach dem Start über das Meer in Richtung Westen legt sich die A380 in eine 180-Grad-Kurve nach backbord. Im Morgendunst überragt der Burj Khalifa alle anderen Wolkenkratzer Dubais. Wir nehmen Kurs nach Osten zum Oman. Südlich geht es an der Hauptstadt Maskat vorbei und raus auf den Indischen Ozean. Zeit für die erste von drei Mahlzeiten in der Economy Class: „Smoked Turkey“ als Vorspeise, gefolgt von „Grilled Salmon Fillet“ und "Chocolate and Orange Mousse Cake" als Nachtisch.
Wechselschicht über den Wolken
26 Flugbegleiter kümmern sich um das Wohl der Passagiere und die Sicherheit an Bord. Ebenso wie die Kollegen im Zwei-Mann-Cockpit – insgesamt gibt es vier Piloten – wechseln die Crews sich ab. Nach vier Stunden geht es in das Ruheabteil, der "crew rest", einem abgeschlossenen Bereich, der im hinteren Teil der Economy Class im Hauptdeck untergebracht ist und sich über die ganze Breite der vier Mittelsitze erstreckt. Dort gibt es 14 Betten für die Flugbegleiter und zwei weitere für die Flugkapitäne.
„In Auckland bleiben wir zwei Nächte im Hotel“, erzählt mir Petr, der Chef der Kabinenbesatzung. Bei nicht so langen Interkontinentalflügen reicht eine Nacht, ehe es zurückgeht. Im Gegensatz zu anderen Airlines haben die Piloten ihren Ruhebereich nicht gleich hinter dem Cockpit, denn Emirates hat in ihren Maschinen mit einer ersten Klasse dort als einzige Fluggesellschaft die exklusiven Duschen für ihre First-Class-Gäste eingebaut.
Hinter dem großen Crew-Schlafzimmer führt eine Wendeltreppe zum Oberdeck, wo die Sessel der Business und First Class untergebracht sind und eine weitere Besonderheit der A380 von Emirates: eine runde Bar im Heck, wo die Gäste bei Drinks und Schnittchen schnell in Gespräch kommen. John aus Neuseeland, der auf dem Heimweg aus den Emiraten ist und sich um den Export von landwirtschaftlichen Produkten nach Dubai kümmert, ist begeistert von dem neuen Nonstop-Flug: „Das erspart mir drei Stunden Reisezeit“, sagt er. Bis zu sechs Mal im Jahr pendelt er zwischen Auckland und Dubai.
Ich schalte im Sitz nicht auf einen der Hunderten von Filmen des unendlichen Bordunterhaltungsprogramms, sondern wähle das Programm "Air Show". Auf dem Bildschirm erscheint eine digitale Karte. Wie eine fette Stubenfliege sitzt der stilisierte A380-Flieger fast bewegungslos im blauen Ozean. Die Malediven wollen einfach nicht näher kommen. Fliegen wir etwa auf der Stelle? Dabei ist die Etappe bis Male nur ein Katzensprung im Vergleich zur Entfernung, die wir noch vor uns haben.
Gegen 13.50 Uhr Dubai Ortszeit – nach dreieinhalb Stunden Flug - reißt die Wolkendecke auf. 13.000 Meter unter uns sind nicht nur die dunklen, amöbenartige Flecken der Wolkenschatten auf dem Wasser zu sehen, sondern auch lang gestreckte, türkis beränderte Inseln: die Malediven.
Eine halbe Stunde später überqueren wir laut Karte den Äquator, ungefähr auf der Höhe der Südspitze Indiens. Wir fliegen einen Kurs von 133 Grad Richtung Südosten. Vor uns liegen bis zur Westküste Australiens die Weiten des Indischen Ozean. An meinen Waden kribbeln die Anti-Thrombosestrümpfe, erzeugen einen Pressdruck, der nicht gerade angenehm ist.
Bei Lufthansa wäre das nicht passiert
Oft stehe ich auf, bewege mich, laufe meine Runden durch die Doppelgänge. Viele Kinder sind an Bord, krabbeln auf dem Fußboden, die Stewardessen nehmen sie auf den Arm, versuchen es mit Ablenkung.
Flugbegleiter in Freizeitkleidung und T-Shirt mit der Aufschrift Crew huschen in ihren Erholungsraum. Einen von ihnen sehe ich, wie er in einer Ecke an einem Notausgang eine Decke ausbreitet, sich auf den Knien zurückzieht, nach vorne beugt und betet. Emirates ist eine arabische Fluggesellschaft mit multikultureller Crew. Stets signalisiert auf der Inflight-Karte ein gelber Pfeil mit Kaaba-Symbol, in welcher Himmelsrichtung Mekka liegt.
Nach fast acht Stunden Flugzeit neigt sich der 1. März mit einem dramatischen Sonnenuntergang dem Ende zu: Über dem Wolkenhorizont verfärbt sich ein schmaler Streifen zu einer lichterloh brennenden Farbmauer aus Orange, darüber ein intensives Gelb, das ins Hellblau übergeht und sich ganz oben im Schwarz des Universums verliert.
Nach einer Viertelstunde hat uns die Nacht verschluckt. Ich verliere jegliches Zeit- und Raumgefühl. Wo sind wir? Im nirgendwo zwischen Arabischer Halbinsel und Perth in Australien. Irgendwo in diesem Gebiet soll das Wrack von MH370 liegen, dem bis heute ungelösten Rätsel des am 8. März 2014 verschollenen Fluges von Malaysia Airlines. Ich fühle mich wie aus der Zeit gefallen, stülpe die Schlafmaske über die Augen und nicke wieder ein.
Erneut gibt es etwas zu Essen. 9,5 Stunden nach dem Start haben wir endlich die Westküste Australien erreicht. Das rote Beaconlight unter dem Flugzeugrumpf blitzt regelmäßig auf und lässt die Unterseiten der Triebwerke aufflackern. Noch fünf Stunden Flugzeit. Ich döse wieder vor mich hin.
Melbourne lassen wir links liegen
Das Flugzeugsymbol auf der Karte näherte sich der Tag-Nacht-Grenze. In Neuseeland ist es bereits Tag geworden und hell. Noch drei Stunden. Wir fliegen weiter parallel zur Südküste des australischen Kontinents über die Meerenge zwischen dem Festland und der Insel Tasmanien im Southern Ocean.
Nach 13 Stunden ist es immer noch stockfinster, ich dagegen fühle mich hellwach, mein Magen knurrt. Die Kabinenbeleuchtung wird heller, die Tabletts mit dem Frühstück werden ausgeteilt. Über der Tasmansee geht die Sonne auf. Die runden Einlässe der Triebwerke leuchten von der Morgensonne angestrahlt wie orangene Ringe.
Wir fliegen schnurstracks nach Osten, irgendwann dürfte die Datumsgrenze kommen. Doch wir befinden uns auf der Zielgeraden. Der Kapitän meldet sich, gibt das Wetter und die Uhrzeit für Auckland durch: „21 Grad, Sonne. Wir landen eine halbe Stunde früher als geplant, um 10.35 Uhr Ortszeit“.
Gedränge herrscht im Gang vor den Toiletten, Zähneputzen ist angesagt. Die Flugbegleiter sammeln lautlos den Abfall ein, sortieren das Deckenchaos, kontrollieren den Sitz der Sicherheitsgurte, die Tischchen werden hochgeklappt. Draußen sind wir längst durch die Wolkendecke geschlüpft, die Küstenlinie Neuseelands taucht auf, ein grüner Streifen mit weißen Brandungswellen. Dann geht alles sehr schnell.
Um 10.32 Ortszeit setzt die A380 mit der Kennung A6-EON auf der Piste des Auckland International Airport auf. Der Riesenvogel rollt zum Gate, und für einen Moment sehe ich am Fenster sitzend nichts mehr: Kaskaden vom Wasser rinnen über den Rumpf, denn die Flughafenfeuerwehr begrüßt uns aus vollen Rohren. Wir sind endlich da, der längste Passagierflug mit mehr als 14.000 Kilometern hat ein Ende. „Cabin crew prepare all doors for cross check“, heißt die Ansage aus dem Cockpit.
Die 300 Passagiere sammeln ihre „personal belongings“ ein, verabschieden sich von den noch immer freundlich lächelnden Stewardessen an der Flugzeugtür und haben nach 15 Stunden und 12 Minuten wieder festen Boden unter den Füßen. Kurios: Meine Armbanduhr muss ich nicht umstellen, denn Auckland ist Deutschland um genau zwölf Stunden voraus.
200 Tonnen Kerosin verbrannt
Bis zum Mittag werden die drei anderen regulären Linienflüge von Emirates via Australien eintreffen. Dann stehen in Auckland vier A380 nebeneinander aufgereiht, eine einmalige Konstellation, die es außer am Flughafen Dubai noch nirgends zu sehen gab. Das war wohl auch der Grund, für diesen Erstflug den Riesen-Airbus einzusetzen.
Regulär kommt eine Boeing 777-200 LR zum Einsatz, ein Modell für Ultra-Langstrecken, von dem weltweit nur 59 Exemplare existieren. Die zehn Flugzeuge in der Flotte von Emirates bieten 266 Passagieren in drei Klassen Platz, wobei in der Economy durch die 3-4-3er-Bestuhlung jeder Reihe einen Sitz mehr hat als dieselben Maschinen bei Qatar Airways oder Delta Air Lines.
Rückflug in 17 Stunden und 20 Minuten
Nur langsam geht es in der Einreiseschlange voran. Ich reiche der neuseeländischen Beamtin meinen Reisepass mit den ausgefüllten Papieren, dem sie auch entnimmt, wann ich wieder zurückfliegen werde. Die erst freundlich blickende Maori-Dame verzieht ihr Gesicht und schaut mich wie beleidigt an: „Was? So kurz wollen sie nur bleiben“. Ich muss mich rechtfertigen und fast schon entschuldigen. Dann schüttelt sie verständnislos den Kopf und stempelt mir ein Besuchervisum „current for three (3) months“ in den Pass.