„Er wedelt herein, kreischt: Hallo, hallöchen, schiebt mich kurzerhand ins Bad und sagt Du siehst aus wie Ida Putenschlund. Jetzt wollen wir erst mal einen Star aus Dir machen.“ So beschrieb diegroßartige Hildegard Knef (1925-2002) Berlins bekanntesten Visagisten René Koch. Am Dienstag feiert er seinen 75. Geburtstag.
Mit Hildegard Knef verband ihn eine innige, 30-jährige Freundschaft. Ihre künstlichen Wimpern liegen neben dem Volkslippenstift, für den sie einst Werbung machte in einer Vitrine in seinem Lippenstiftmuseum, wo sich auch seine Privatwohnung befindet. Ein Ort der unendlichen Geschichten – von Stars, Sternchen und Promis. So viele hat er in seinem Leben getroffen. Zu jedem Foto an der Wand gibt es eine Story.
„Wünsche habe ich keine“, sagt er und nippt an einem alkoholfreien Bier im großen Salon. Seit 40 Jahren wohnt er dort. Neben strassbesetzten Lippenstiften und perlmuttbesetzten Puderdöschen, sind glitzernde Bühne-Roben und federbesetzte Hüte drapiert. Schenkungen von Mary (von Mary & Gordy), Judy Winter oder der Knef.
Frauen spielten immer schon eine große Rolle in seinem Leben. Aber eine war sehr prägend: „Meine Mutter war Schneiderin“, erzählt er. „Deshalb sah ich als Kind immer aus, wie eine Käthe Kruse-Puppe. Oft mit Hütchen und Feder dran.“
Geboren wurde er kurz nach dem Krieg in Heidelberg als Rainer Koch. Mit 14 Jahren begann er eine Ausbildung zum Plakatmaler. 1963 zieht es ihn nach West-Berlin. Nachts kellnerte René in Schwulenbars. „Ich war die erste Drag Queen Berlins“, rühmt er sich. „Ich inszenierte mich als Kunstfigur, mit Perücke, schrillem Make-up, aber ohne ausgestopften BH.“ Das Schminken machte ihm Spaß.
Vom Sohn von Josephine Baker leiht er sich 3000 D-Mark, um die Kosmetikschule zu besuchen, die damals nur von Frauen besucht wurde. 1969 erhält er sein Diplom und startet bei dem amerikanischen Konzern Charles of the Ritz, wird dort Chef-Visagist. Später bei Yves Saint Laurent.
Schauspielerin Shirley McLaine war sein erster großer Star. „Sie trat in Düsseldorf auf. Ihr Schminkkoffer war verschwunden. Eine Kölner Zeitung rief mich an, bat mich auszuhelfen.“
Danach kamen noch unzählige andere: Shirley Bassey, Joan Collins, Liza Minelli, Mireille Mathieu, Eartha Kitt, Milva, Brigitte Nielsen, Claudia Schiffer.
Viele wurden Freundinnen. Der Strahlemann mit den blauen Augen kommt gut an bei den Frauen. Selten blieb es nur beim Make up. „Ich habe denen immer mehr gegeben. Ich habe ihre Seele geschminkt.“
So auch bei Hilde. „Ich lernte sie 1979 auf dem Tuntenball im ICC kennen. Unsere Basis war der Humor.“ 50 persönliche Briefe hat er von ihr gesammelt. Zusammen mit den Fotos lagern sie in einem schnöden Pappkarton. „Man kann nur á la long zusammen sein, wenn man über das gleiche lachen und das gleiche weinen kann. Das verbindet – so wie mich und Udo.“ Sein bester Freund.
Star-Coiffeur Udo Walz und René Koch – das Beauty-Dream-Team der Hauptstadt. Jeden Montag treffen sie sich zum Kaffee vorm Kempenski-Hotel. „Früher wollten die Fans Autogramme, heute nur noch Selfies“, sagt er. „Und wenn nach einer Stunde keiner kommt, um sich mit uns fotografieren zu lassen, sagt Udo immer: Ist nix los in der Stadt.“
Lesen Sie dazu auch
► Nina Gummich in Netflix-Serie „Das letzte Wort“
► Wer wird der neue James Bond?
Gemeinsam sind sie gereift, aber als Senior will René Koch nicht bezeichnet werden. „Ich seh‘ doch nicht aus wie ein Senior. Ich bin ein Happy-Ager.“ Seine neueste Herzensangelegenheit: „Niemand darf wegen seines Alters diskriminiert werden. Ich möchte, dass der Paragraph 3 des Grundgesetzes dahingehend ergänzt wird.“ Ganz im Trend der Zeit startet er nächste Woche mit einem Blog und einem Podcast im Internet namens „Happy ager“.
Woher nimmt er diese Energie? „Das bekommt man von der Geburt an mit. Der eine ist ein Diesel, andere sind Benziner und ich bin ein Überflieger“, erklärt er lachend.
René wurde katholisch erzogen. „Meine Tante war Äbtissin eines Klosters. Ich gehe jeden Sonntag in die Kirche.“ Sündigt er denn auch manchmal? „Wenn, dann die Schokoladen-Pralinen, die Himmlichen von Leysieffer. Und Champagner.“
Ansonsten lebt er sehr gesund, achtet auf die Ernährung, kocht jeden Tag frisch, für sich und seinen Lebensgefährten Dieter Stadler (66). Um 13 Uhr steht das Essen auf dem Tisch. Seit 40 Jahren sind sie liiert. Dieter ist Kunsthistoriker und Kurator im Lippenstiftmuseum. Er wohnt um die Ecke. Abends geht er immer nach Hause. „Wir haben uns doch den ganzen Tag über. Nähe entfernt haben wir festgestellt.“
Mit Dieter wollte er mal aussteigen. Sie fuhren nach Cannes. Aber nach sechs Wochen kehrten sie wieder zurück ins turbulente Berlin.
Gibt es etwas, was er bereut? „Mein konservativer Vater hat mich vor die Tür gesetzt, weil ich schwul bin. Als er an Parkinson erkrankt im Krankenhaus lag, rief mich meine Mutter an, dass er bereue, dass er kein Verständnis für meine sexuelle Orientierung hatte. Aber ich blieb stur. Er starb ohne, dass wir wieder miteinander gesprochen haben. Nach seinem Tod gab mir meine Mutter einen Zettel, darauf stand mit zittriger Hand geschrieben: Vergib‘ Deinem alten, Vater, der so viele Fehler gemacht hat“, sagt René Koch mit brüchiger Stimme. „Man muss verzeihen können. Sonst trägst Du eine Last mit ins Alter.“