EXKLUSIV-INTERVIEW
Paul Ripkes große Stunde schlug 2014 in Rio de Janeiro. Nachdem Oliver Bierhoff seinen flehenden Ruf erhörte, stand Ripke wenig später nach dem deutschen WM-Triumph plötzlich auf dem Rasen. Als einziger Fotograf illegal im Innenraum! Mit seinem Fotobuch "One Night in Rio" wurde Ripke berühmt. Im Interview mitGoalundSPOXspricht der 39-Jährige, der heute in Kalifornien lebt, über die Nacht seines Lebens.
"Locked In" - Der Talk mit dem Thema "Sportler als Marke" mit den Gästen Paul Ripke, Andrej Mangold und Raphael Brinkert ab Donnerstag, 19 Uhr auf DAZN!
Außerdem erzählt Ripke, warum er Jürgen Klopp nicht austricksen konnte und warum ihn ein nett gemeintes Angebot Dirk Nowitzki komplett kalt ließ ...
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Herr Ripke, früher haben Sie vor allem fotografiert, heute beschäftigen Sie sich beruflich außerdem mit Klamotten und Kochen, einen Podcast machen Sie auch noch. Sie erzählen im Endeffekt Geschichten, haben Sie über Ihre Berufsbezeichnung gesagt. Was war denn Ihre erste Sportgeschichte? Wie ist die Leidenschaft entstanden?
Paul Ripke: Tennis hat mich früh geprägt. Ich war vier Jahre lang Balljunge in der Damen-Bundesliga in Heidelberg. Steffi Graf hat in der Nähe gewohnt und bei uns im Klub trainiert. Es war cool, wenn sie mit Andrei Medvedev trainierte und ich auf dem Nebenplatz spielte. Es war auch faszinierend, weil ich einen menschlichen Blickwinkel auf den Weltstar Steffi Graf bekam. Sie hat um die Ecke beim Bäcker Brötchen geholt, diese menschlichen Geschichten haben mich interessiert. Und ich hatte generell meine Helden im Tennis. Ich war ein ganz großer Fan von Andre Agassi, auch Michael Chang fand ich immer geil. Ich mochte seinen Outsider-Style. Pete Sampras war dagegen nicht so mein Fall, er war mir zu kontrolliert. Ich habe alles verfolgt, Tennis war damals eine große Sache für mich.
Aber nicht nur Tennis, Sie sind als Jugendlicher im Nachwuchskader Ski gefahren. Hatten Sie das Zeug zum Star?
Ripke: Ich persönlich war bestimmt ein Jahr lang sicher, dass ich mindestens Olympiasieger im Skifahren werde. (lacht) Das war meine Vorstellung der Dinge. Leider sah die Realität etwas anders aus. Ich bin überhaupt nur zweimal in einen internationalen Vergleich gekommen. Und das auch nur, weil der dritte Allgäuer verletzt war und ich als Schwarzwälder so reingerutscht bin. Ich habe jedes Mal große Klatschen bekommen. Beim ersten Rennen war ich gleich mal Letzter. Mit Abstand. Ich musste auf die harte Weise erkennen, dass alle Italiener, Österreicher, Schweizer oder Liechtensteiner besser waren. Das war die eine Ohrfeige. Und die andere Ohrfeige hat mir Bastian Schweinsteiger verpasst. Er war drei Jahre jünger, aber erheblich schneller. Ich wurde von links, rechts, oben und unten überholt, das war mir irgendwann zu viel. Ich musste einsehen: Das wird nix. Aber hey, ich habe immerhin ein paar FIS-Jugendpunkte geholt.
Paul Ripke: "Als ob du durch L.A. fährst und absolut jede Ampel steht auf Grün"
Stimmt es, dass Sie dann übers Hockey zum Fotografieren gekommen sind?
Ripke: So halb. Ein ganz entscheidender Moment war, als ich in Hamburg Hockeytraining gegeben habe. Das habe ich wirklich intensiv gemacht und ein Jahr lang alle weiblichen Jugendmannschaften im Hamburger Polo Club trainiert. Das hat richtig Bock gemacht und das wurde auch ganz gut bezahlt. Zu dem Zeitpunkt arbeitete ich schon als Fotograf, aber wie es so ist am Anfang - du verdienst erst mal sehr wenig Geld. Deshalb war das Hockeytraining für mich top. Eines Tages hat mich einer der Väter gefragt, ob ich festangestellter Fotograf in seiner Firma werden will. Gesagt, getan. Ich weiß noch, wie ich in Norderstedt auf den Parkplatz gefahren bin. Da gab es ein Schild, auf dem "Fotograf" stand. Das war das erste Mal, dass ich mit der Fotografie meinen Lebensunterhalt verdienen konnte. Vorher hatte ich damit ein bisschen Ertrag, aber vor allem auch hohe Kosten.
Man könnte jetzt sagen: Der Rest ist Geschichte. Viele Jahre später sind Sie dadurch berühmt geworden, dass Sie nach dem WM-Finale 2014 zwischen Deutschland und Argentinien als einziger Fotograf - illegal - im Innenraum waren und Fotos machen konnten, die Ihr Leben veränderten. Wie blicken Sie heute auf diese "One Night in Rio" zurück?
Ripke: Am meisten freue ich mich darüber, dass Mario Götze dieses Tor gemacht hat. Inzwischen weiß ich und gestehe mir den Gedanken zu, dass ich da ganz gut performt habe und dass es nicht jeder so hingekriegt hätte. Ich darf ein bisschen stolz darauf sein, wie alles geklappt hat, wie ich auch im Anschluss das Buch selbst verlegt habe. Aber Fakt ist natürlich, dass das alles nie passiert wäre, hätte Mario Götze dieses Tor nicht geschossen. Ich habe mir diese Chance nicht selbst erarbeitet. Ich hatte Leute auf meiner Seite, die es massiv zugelassen haben, dass ich das alles überhaupt tun konnte. Deshalb bin ich da schon relativ demütig und denke mir: "Alter Schwede, ich hatte echt ein Schweineglück."
Es gibt dieses Bild mit den Elfmeterschützen, die Joachim Löw schon dabei war auszuwählen.
Ripke: Genau. Bevor Mario das Tor gemacht hat, hatte Jogi Löw schon angefangen, die Namen für das Elfmeterschießen auf einen Zettel zu schreiben. Er ist glaube ich bis zum dritten Namen gekommen, dann fiel das Tor und er hat den Zettel beim Jubeln rechts neben sich geschmissen. Ich habe das gesehen und ein Foto davon gemacht. Das ist eines dieser Bilder, die sich besonders eingeprägt haben. Aber was wäre passiert, wenn Mario das Tor nicht gemacht und wir das Elfmeterschießen verloren hätten? Es war der Moment in meinem Leben, als alles auf Go geschaltet wurde. Als ob du durch L.A. fährst und absolut jede Ampel steht auf Grün - das gibt es nur einmal im Leben.
Paul Ripke: "Wenn Heidi Klum dich am Eingang am Handgelenk packt ..."
Zwischendurch sind Sie ja auch ein paar Mal rausgeflogen aus dem Innenraum.
Ripke: Es war schon risikoreich, das stimmt. Ich habe mich da so reinschlawinert und dreimal bin ich auch kurzzeitig wieder rausgeflogen. Aber was heißt rausgeflogen? Die Ordner packen dich und schieben dich ein bisschen zur Seite. Wichtig war immer, dass ich ihnen klargemacht habe, dass ich kein Flitzer bin. Das kriegt man hin. Und dann haben mir die Spieler ja geholfen. Wenn Bastian Schweinsteiger sagt, dass der Typ zu uns gehört, dann wird niemand etwas dagegen sagen. Egal, ob derjenige jetzt den nötigen Ausweis hat oder nicht. Ich habe etwas Ähnliches auch mit Heidi Klum auf der Met Gala erlebt. Ich kenne niemanden in meinem Umfeld, der krasser fotografiert wird als Heidi Klum auf der Met Gala. Wenn Heidi dich am Eingang am Handgelenk packt und sagt, du gehörst dazu, dann gehörst du dazu. Dann brauchst du keine Einladung, dann ist es auch egal, was du anhast. Da wird nicht mehr diskutiert. Mit Lewis Hamilton war es auch so. Ich habe vier Jahre lang mit ihm zusammengearbeitet und ich war nicht ein einziges Mal irgendwo offiziell angemeldet. Wozu auch? Ich kam mit Lewis im selben Auto oder Helikopter an, das reichte.
Noch mal zurück zur magischen Nacht von Rio. Wie ging es denn nach den Feierlichkeiten im Stadion weiter? Gab es irgendwann mal die Chance zur Reflexion?
Ripke: Nein, null. Der Film lief die ganze Zeit weiter. Man darf nicht vergessen, wie vogelwild das alles für mich war. Meine Anreise war so kurzfristig, dass ich nicht mal eine Zahnpasta dabei hatte. Ich hatte auch nicht mal ein richtiges Zimmer. Es gab nur eins für mich: Vollgas. Mein Telefon klingelte auch nonstop durch von dem Moment an, als man mich zum ersten Mal im Fernsehen sah und sich jeder dachte, was ich denn da mache. Absolut jeder, der mich kannte, hatte offensichtlich den Impuls, mich anzurufen. Alle Medien wollten auch sofort an die Fotos ran, selbst die Bunte und Gala haben im Zwei-Minuten-Takt versucht anzurufen. Aber ich konnte ja nicht rangehen. Ich konnte nicht eine Sekunde einen reflektiven Gedanken fassen, weil ich ja auch nichts verpassen wollte. Die Party ging natürlich lange und ich wollte dann auch der Erste beim Frühstück sein, um dort die Jungs mit dem Pokal zu sehen und Fotos machen zu können. Auf dem Rückflug von Rio habe ich die Fotos fertiggemacht und dort ist auch der Name für das Buch entstanden. One Night in Rio. Aber so richtig durchatmen konnte ich erst, als ich später im Flieger nach Mallorca saß, um dort den Familienurlaub fortzusetzen.
Wussten Sie da schon, dass Ihnen etwas Großes gelungen war?
Ripke: Ich war lange sehr vorsichtig. Man darf sich nicht zu früh freuen. Wir kennen diese Bilder vom Radsport auf der Zielgeraden, wenn ein Fahrer schon die Hände zum Jubeln hochreißt und dann noch abgefangen wird. Das habe ich in meinem Leben zu oft gesehen. Deshalb habe ich bis zu dem Tag gewartet, als das Buch herausgekommen ist und im Laden zu kaufen war. Erst dann habe ich zu mir gesagt: 'Wow, ich habe hier echt was geschafft und erreicht'. Ich hatte bis dahin auch kein einziges Foto herausgegeben und nichts gepostet. Das Höchste der Gefühle und die größte Ehre ist für einen Fotografen immer, wenn die Stars deine Fotos benutzen. Das Schönste an den Fotos ist die Erinnerung für die Spieler, die ich für sie festhalten durfte. Ich hatte damit nichts zu tun, ich war nur derjenige, der auf den Auslöser gedrückt hat.
Paul Ripke: "Meine E-Mail an Oliver Bierhoff war etwas rotzig"
Was viele nicht wissen: Es kam ja nicht von ungefähr, dass Sie beim Finale dabei waren. Sie haben ja extra eine E-Mail an Oliver Bierhoff geschickt. Sie hatten es quasi geplant.
Ripke: Wie bei vielen Dingen im Leben sieht es im Nachhinein so aus, als ob da ein genialer Masterplan dahinterstecken würde. Es gab aber keinen Plan - schon gar keinen genialen. Ich habe nur versucht, dem Zufall ein bisschen nachzuhelfen und meine Hausaufgaben zu machen. Deshalb habe ich diese E-Mail abgeschickt. Ich habe in meinem Leben aber auch 430.000 E-Mails abgeschickt, die zu gar nichts geführt haben. Beim ersten Mal habe ich ja auch da eine Absage bekommen. Mein Glück war, dass der Glaube an den Titel nach dem berauschenden Halbfinale und in der damaligen Euphorie so gewachsen ist und es dadurch hieß: 'Lassen wir den Ripke das machen'. Ich wollte mit der Mail einfach alles tun, was in meiner Macht stand, um mir diesen Traum zu erfüllen. Alleine im Stadion zu sein, wenn Deutschland Weltmeister wird - wer träumt nicht davon?
Viel mehr geht nicht.
Ripke: Und ich durfte dann noch mit den Jungs arbeiten ... ich hätte alles dafür getan, wahrscheinlich hätte ich meine Kinder dafür umbenannt, wenn es sein muss. (lacht) Meine E-Mail an Oliver Bierhoff war auch etwas rotzig. So nach dem Motto: "Liegt es an meinem Bart? Ich rasiere mich gerne und trage eine Frisur eurer Wahl." Es war keine Business-Mail. Es war ein flehendes "Bitte, bitte, bitte", verpackt in die Aussage, dass ich alles dafür geben würde. Irgendwie hat sich Oliver Bierhoff davon berühren lassen. Es war in jeder Hinsicht einmalig. Ich war wohl der Erste, der so eine Mail geschickt hat und ich war dann der Erste, der von einem solchen Erfolg solche Fotos geschossen hat. Bis heute hat es das in der Form nicht mehr gegeben.
War es bitter, dass es danach nicht mehr lange beim DFB für Sie weiterging?
Ripke: Der DFB denkt immer in Zyklen. Und nach Rio war der Zyklus abgeschlossen. Ich war danach noch bei der Verabschiedung von Miro Klose und Philipp Lahm dabei, aber mit der Zeit war allen klar, dass es besser ist, nicht weiter zusammenzuarbeiten. Sie haben mich auch nicht rausgeschmissen, sie haben sich einfach nicht mehr gemeldet. Ich hätte mich gefreut, wenn sie angerufen hätten, aber ich war nie verbittert deswegen. Für mein Selbstwertgefühl war es wichtig, dass ich im Anschluss die Chance hatte, Nico Rosberg und Lewis Hamilton zu ihren WM-Titeln zu begleiten und den Triumph aus ihrer Sicht zu dokumentieren. Ich habe es nach Rio ein zweites und drittes Mal geschafft und mir selbst bewiesen, dass ich es auch mit anderen Leuten hinkriege. Spätestens dann konnte niemand mehr sagen, dass das alles jeder andere auch hätte machen können. Das war eine Genugtuung für mich.
Wie haben Sie den Wechsel aus der Fußball- in die Formel-1-Welt generell wahrgenommen?
Ripke: Es war krass. Die Formel 1 ist der meist vermarktete Sport überhaupt auf der Welt. Es wird viel schneller entschieden und es wird dir viel mehr vertraut. Ich habe bei Mercedes jahrelang Toto Wolff als Teamchef erlebt, das war absolut beeindruckend. Toto hat ganz offen gesagt, dass er keine Ahnung von Aerodynamik oder von Reifen hat. Oder eben auch nicht von Social Media. Aber dafür hat er Leute, denen er vertraut. Und im Bereich Social Media hat er sich angehört, was ich zu sagen habe, und dann seinem Bauchgefühl vertraut, die richtige Entscheidung zu treffen. Es war geil, in diesem Klima arbeiten zu dürfen. Wenn ich am Donnerstag etwas vorgeschlagen habe, wurde noch am Donnerstag entschieden, dass wir das jetzt so machen. Können Sie sich das im Fußball vorstellen?
Eher nicht.
Ripke: Ich habe das im Fußball nicht einziges Mal erlebt. Ich finde es ja gut, dass gerade in Deutschland der Sport so im Vordergrund steht. Und als Fan finde ich das Projekt Red Bull genauso scheiße wie viele andere auch. Aber das heißt ja nicht, dass man keine authentischen Geschichten erzählen kann oder dass Vermarktung und Social Media grundsätzlich schlecht sind. Aber im Fußball ist so viel Politik im Spiel. Wenn ich die Zustimmung von vier Geschäftsführern, drei Agenturen und sieben anderen Leuten brauche, kommt am Ende immer grau heraus. Und grau ist immer Schrott. In der Formel 1 war das ganz anders. In der Formel 1 habe ich riesige Erfolge gefeiert mit meinen Projekten und ich habe auch mal Mist gebaut, aber es war immer spitz. Es war immer schwarz oder weiß. In der Formel 1 geht es um Reichweite, es geht um Interesse an Einzelpersonen und es geht um Geschwindigkeit in den Entscheidungsprozessen. Es war viel einfacher für mich. Ich würde auch nie wieder etwas im Fußball machen wollen. Egal wer auch anruft. Wobei auch in den vergangenen Jahren niemand angerufen hat. (lacht)
Paul Ripke: Boateng? "Ich connecte mit der Bling-Bling-Generation"
Sie haben mit so vielen Fußballstars zusammengearbeitet. Mit wem hat es denn besonders viel Spaß gemacht?
Ripke: Mario Götze ist ein unfassbar cooler Typ. Einer der verlässlichsten Menschen, mit denen ich je zusammengearbeitet habe. Und so ein großer Familienmensch. Wirklich zutiefst beeindruckend. Ähnliches gilt für Sami Khedira. Was er für ein Wertesystem hat, welche Prioritäten er setzt - das hat mir sehr imponiert. Aber auch jemand wie Loris Karius fällt mir da ein.
Mit dem Sie das berühmte Hollywood-Video gedreht haben, das ihm eher weniger gute Schlagzeilen eingebracht hat.
Ripke: Das war maximal schlechtes Timing. (lacht) Aber es war authentisch. So sieht das Leben eines Fußballers aus, wenn er hier ist. Das ist einfach so. Aber die Leute sehen nicht, wie Lorius mit seinen Freunden umgeht, was er für ein guter Typ ist. Er hat einen engen Freundeskreis von acht bis zehn Leuten. Es war faszinierend zu sehen, wie die untereinander mit sich umgegangen sind.
Viel haben Sie auch mit Jerome Boateng gemacht.
Ripke: Jerome Boateng ist ein guter Freund von mir. Das liegt aber auch einfach daran, dass ich aus dem Hip-Hop komme. Ich connecte mit der Bling-Bling-Generation. Wir hören die gleiche Musik, wir mögen die gleichen Klamotten. Das hilft, wenn man zusammenarbeitet. Auf der anderen Seite gibt es Leute wie Bastian Schweinsteiger, mit denen ich seit Jahren nichts mehr zu tun habe. Den interessiert das alles nicht, was ja auch völlig okay ist.
Paul Ripke: "Jürgen Klopp ist der George Clooney des Fußballs"
Wie war es, wenn Sie mit Ihrem guten Freund Campino in Liverpool waren und Jürgen Klopp getroffen haben?
Ripke: Jürgen Klopp ist ultra-krass. Jürgen Klopp spielt ja irgendwie in einer Liga über der Champions League, in der Welt-Champions-League oder so. Klopp ist der George Clooney des Fußballs, er ist dort auf dem Level, auf dem Clooney in der Schauspielerei ist. Mir ist besonders die soziale Komponente aufgefallen. Ich fand es verrückt, wenn mir Jürgen Klopp einen Spruch gedrückt hat, zwei Tage nachdem wir fünf Minuten miteinander zu tun hatten. Dass er sich gemerkt hatte, welche Cappy ich getragen habe, solche Dinge. Oder seine Freundschaft zu Johannes B. Kerner. Das ist keine Freundschaft für die Bunte, die ist echt. Die beiden feiern und leiden zusammen, das habe ich gesehen. Da stand ich manchmal mit offenem Mund da. Und dann gab es meine ganz persönliche Geschichte mit ihm.
Erzählen Sie.
Ripke: Als ich in Liverpool war, wollte ich natürlich auch nicht nur langweilige Trainingsbilder-Fotos machen. Ich wollte ein Kloppo-Beatles-Foto von ihm auf der Straße, das ist ja das viel bessere Motiv.
Das hat er bestimmt abgelehnt.
Ripke: Ganz genau. Er wollte nicht. Also habe ich mir gedacht, ich trickse ein bisschen, so wie ich es auch bei vielen anderen schon gemacht habe. Das gehört einfach dazu. Ich habe mit einem Ordner ausgemacht, dass er bei einem Hinterausgang am Trainingsgelände die Tür zur Straße aufmacht. Das war eine Straße direkt neben dem Trainingsgelände, es sah aus wie in einer britischen Stadt, das hätte vollkommen gereicht. Also habe ich Jürgen dorthin gelotst, aber schon auf dem Weg dahin guckt er mich plötzlich an und sagt: "Paul, ich weiß genau, was du vorhast, vergiss es." Und ich dachte nur: "Das gibt es doch nicht." Er hat das intuitiv gespürt und ich bin mir sicher, dass er auch bei seinen Spielern sofort spürt, wenn ihm da einer einen Quatsch erzählt. Weil er diese emotionale Intelligenz besitzt. Und daneben noch ein bisschen Ahnung vom Fußball hat.
Wenn wir mal zum US-Sport wechseln, dort haben Sie auch schon einige Erfahrungen sammeln dürfen. Wie geht die Geschichte mit NFL-Superstar Odell Beckham Jr.?
Ripke: Erstmal muss man ja sagen, dass die Mechanismen im US-Sport ganz andere sind. Gerade in der NFL. Die NFL hat eine kurze, knackige Saison und außerhalb dieses Zeitfensters halten sich die Stars ja oft gar nicht in der Stadt auf, in der sie spielen. Das alleine ist ja schon mal verrückt. Zweitens ist die NFL, obwohl Football ein Mannschaftssport ist, sehr von den Persönlichkeiten der Stars getrieben. Da steht nicht unbedingt der Klub im Vordergrund, es geht um die Stars. Und drittens sind es halt Amerikaner. Das sind alles Angeber, die Bock auf Vermarktung haben. Die wollen ihr Auto zeigen. Mit Odell hatte ich bei seiner Europa-Tour zu tun und wir haben auch danach hier und da was gemacht. Und dann haben wir ziemlich schnell nichts mehr gemacht. Er hat sich einfach nicht mehr gemeldet.
Aber warum nicht?
Ripke: Man muss es so sehen: Der Junge hat eine Liste mit 400 Typen, die das alles genauso gut für ihn machen können wie ich. Da muss man ehrlich sein und darf sich nicht zu wichtig nehmen. Ich habe mal Lewis Hamilton und Justin Bieber zusammen fotografiert. Das Foto hatte 400 Milliarden Likes. Und warum? Weil beide es geteilt haben. Und sicher nicht, weil ich es geschossen habe. Es geht immer um die abgebildeten Menschen.
Paul Ripke: "Dirk Nowitzki interessiert das einen Scheißdreck"
Wenn wir von der NFL zur NBA wechseln. Wie war es mit Kevin Durant in Berlin?
Ripke: Durant ist ein unglaublich schüchterner Kerl. Das Lustige an der Story war, dass ich einen großen Fehler gemacht habe. Eigentlich erkennt ja kein Mensch Kevin Durant, wenn ich mit ihm durch Berlin laufe. Vielleicht zwei von 100 Leuten. Das ist so und das wissen die Jungs auch. Dummerweise hatte ich mir als Ort für den Shoot etwas ausgesucht, was nur wenige Minuten von der Mercedes-Benz Arena entfernt war. Und dummerweise fand zu der Zeit die EM statt und an dem Tag spielte Deutschland. Es gab damals in ganz Deutschland sicher keinen Ort, an dem mehr Leute zusammen waren, die alle genau wussten, wer Kevin Durant ist. Die Aktion ist komplett schiefgegangen, ich konnte nur ein paar Fotos machen, dann mussten wir es abbrechen. Durant war sehr nett. Aber auch er hat sich nie wieder gemeldet. (lacht) Ich habe ihn aber noch mal getroffen und die US-Stars sind ja sehr gut darin, dann so zu tun, als ob sie sich noch genau an dich erinnern. "Ich bin der Typ, der damals in Berlin die Fotos gemacht hat." Und Durant so: "Great pictures. Loved it." Also so ganz kaufe ich das denen nicht ab, aber vielleicht tue ich ihnen auch unrecht.
Noch größer als Durant im deutschen Basketball ist natürlich Dirk Nowitzki. Was haben Sie aus den Begegnungen mit ihm mitgenommen? Es gibt ja auf der Welt niemanden, der nicht begeistert ist, wenn er ihn getroffen hat.
Ripke: Dirk ist real. Ich erinnere mich noch an das letzte Mal, als ich ihn getroffen habe. Das war im Januar bei einem Interview mit Johannes B. Kerner. Dirk kommt ins Büro reingelatscht, sagt allen Hallo und macht erst mal dumme Witze. Das ist typisch Dirk. Und ich mag es, wenn Leute genau wissen, was sie wollen. Dirk ist so jemand. Er ist sehr bestimmt, er kommt pünktlich, er ist hochprofessionell und er labert keinen Blödsinn. Wie besonders Dirk Nowitzki ist, habe ich bei seinem Abschiedsspiel gespürt. Da hast du in jeder Sekunde gefühlt, dass es heute um mehr geht als um Basketball. Das war sehr besonders.
Steve Nash ist ja einer seiner besten Kumpels, der zufällig in Ihrer Nähe wohnt.
Ripke: Ja, Steve Nash wohnt hier in Newport Beach nur 300 Meter von mir weg. Das habe ich Dirk natürlich auch erzählt. Ich habe jetzt nicht erwartet, dass er zum Grillen zu mir vorbeikommt, aber ich habe ihm angeboten, dass ich gerne ein paar Fotos oder Videos machen, wenn er Steve besucht, wenn sie Bock haben. Und dafür sollen sie mich auf einen Burger einladen, das passt dann schon.
Was hat Dirk zu Ihrem Angebot gesagt?
Ripke: Dirk Nowitzki interessiert das einen Scheißdreck. Der hat sich nur gedacht: Warum soll ich denn jemanden mitnehmen, der Fotos macht, wenn ich Steve besuche? Hä? Du hast an seiner ganzen Körpersprache gemerkt, dass er das überhaupt nicht versteht. Das war wie bei Miro Klose nach dem WM-Titel. Ich hatte mir damals die Mühe gemacht, für jeden Spieler und generell für alle aus dem Staff einen persönlichen Link mit ihren Fotos zu erstellen. Das war viel Arbeit. Alle haben sich ihre Fotos runtergeladen, nur Miro nicht. Als ich ihn beim Abschiedsspiel darauf angesprochen habe, ob er den Link nicht bekommen hätte, meinte er nur: Paul, ich habe es bekommen, aber das ist mir doch egal. Den hat es null interessiert, sich noch mal die Fotos anzuschauen.
Paul Ripke über einen Zielsprint in Paris gegen Joko Winterscheidt
Jetzt haben Sie so viel erlebt im Sport. Gibt es noch etwas, das Sie reizen würde?
Ripke: Ehrlich gesagt nein. Ich bin sehr glücklich mit allem, was ich machen durfte. Alles, was in meinem Leben noch so kommt, ist nur noch die Kirsche auf der Torte. Ich lebe ein großartiges Leben. Ich bin an einem wunderschönen Ort und ich habe eine sensationelle Familie - und ich habe im Fußball und in der Formel 1 Zeitgeschichte erlebt. Das hätte ich mir als 20-Jähriger nie vorstellen können. Dafür bin ich zutiefst dankbar. Ich bin auch ganz ehrlich: Ich habe nicht mehr den Drive wie am Anfang meiner Karriere. Ich bin ein bisschen satt und muss in meinem Leben jetzt nicht noch irgendeinen Handballtitel fotografieren. Ich plane auch nicht so langfristig. Im Moment mache ich die Sachen, die mir Spaß machen. Ein bisschen Kochen hier, ein bisschen Klamotten da - solange ich davon gut leben kann, ist alles wunderbar.
Und Sie machen gemeinsam mit Joko Winterscheidt einen preisgekrönten Podcast namens "Alle Wege führen nach Ruhm". Zuletzt ist der Podcast phasenweise zu einem Radsport-Podcast mutiert. Wer würde denn eine Ripke-Winterscheidt-Tour-de-France gewinnen?
Ripke: Auf den Flachetappen bin ich garantiert erheblich stärker. Ich bin in diesem Jahr schon 3.000 Kilometer gefahren. Joko vielleicht 16 Kilometer oder so. Das muss eine klare Sache für mich sein. Aber auf der anderen Seite bin ich auch sehr viel fetter. Joko hätte sicher Vorteile am Berg, sodass wir uns bei einer Tour de France ausgleichen würden und es zu einem Zielsprint auf den Champs-Elysées kommen würde. Mir macht das Radfahren einfach einen riesengroßen Spaß im Moment, gerade auch die soziale Facette. Ich wohne hier im amerikanischen Radsport-Mekka. Hier durch die wunderschönen Landschaften zu fahren und bei einem Bier den Sonnenuntergang zu genießen - das ist wirklich mega-geil.