«Um es gleich vorwegzunehmen: Ich unterstütze die Absender der Verhüllungsinitiative nicht. Sie stehen ganz rechts, und das erfüllt mich mit Unbehagen. In den sieben Jahren, in denen ich in der Schweiz lebe, habe ich zu oft erfahren, dass gerade aus dieser Ecke Ressentiments gegen Minderheiten kommen. Trotzdem bin ich klar für das Burka-Verbot. Denn warum sollen sich muslimische Frauen überhaupt verhüllen? Warum gelten wir als Verführerinnen oder als Süssigkeiten, die man bedecken muss, um die Fliegen fernzuhalten? Warum verschleiern sich die muslimischen Männer nicht? Sie verführen uns Frauen ja auch.
Da die Vollverschleierung nirgendwo im Koran verbrieft ist, also nicht einmal ein religiöses Gebot ist, gibt es hierfür nur eine Antwort: Frauen wird eine Macht zugestanden, die es um jeden Preis zu kontrollieren gilt. Burka und Nikab dienen einzig dazu, Frauen zu erniedrigen, sie zu minderwertigen Wesen zu degradieren. Die Verhüllung ist somit weder ein Statement für weibliches Selbstbewusstsein noch für weibliche Ermächtigung, wie es in der aktuellen Debatte manchmal zu hören ist, sondern Ausdruck einer patriarchalen Macht über Frauen, gleichzeitig wie sie Symbol ist für eine extremistische Ideologie, den Islamismus. Und das kann ich nicht akzeptieren.
Mir ist bewusst, dass es viele Feministinnen gibt, die gegen das Verhüllungsverbot sind, weil sie der Ansicht sind, dass jede Frau das Recht dazu hat, sich so zu kleiden, wie sie will, selbst wenn es bedeuten sollte, dass sie sich von Kopf bis Fuss verhüllt. Ich verstehe diese Haltung und teile sie auch. Aber die Frauen, die hier in der Schweiz die Burka beziehungsweise, das Recht auf Verhüllung verteidigen, tun dies als Bürgerinnen einer freien Gesellschaft, in der die individuelle Entfaltung über allem steht. Sie müssen sich nicht überlegen, was sie anziehen.
Umso mehr sollten sie sich in die Haut jener Frauen versetzen, die nicht frei entscheiden können, ob sie heute lieber im Bikini oder im Nikab in den Park gehen wollen; die die Verhüllung verabscheuen, sich aber verhüllen müssen, weil sie sonst als schlechte Musliminnen gelten oder als Aufwieglerinnen, die gegen die Normen ihrer Gesellschaften verstossen – und dafür nicht selten mit ihrem Leben bezahlen. Dass der Nikab aber allem voran auch ein Symbol für den Islamismus ist, wird in den Debatten zum Verhüllungsverbot fast gänzlich ausgeklammert.
Ich weiss nicht, ob dies einer Naivität oder Ignoranz geschuldet ist, aber die Diskussion ist unvollkommen, wenn wir diesen Aspekt nicht ernst nehmen. Denn der Islamismus ist ein globales politisches Projekt, das darauf abzielt, einen Staat auf den Gesetzen der Scharia zu errichten, und die Islamisten haben eine Mission: Sie lassen Moscheen bauen, verteilen Lehrmittel, bekehren «Ungläubige» zum Islam, dies alles dient der Ausdehnung ihrer Macht. Zurzeit gibt es in der Schweiz zwar erst kleine islamistische Gruppierungen, aber was wird in zwanzig oder dreissig Jahren sein?
Ich habe den wachsenden Einfluss der Islamisten in Aleppo miterlebt: Meine heute 60-jährige Schwester schloss 1980 ihr Studium ab. Auf dem Abschlussfoto ihrer Klasse trugen bloss zwei, drei Frauen ein Kopftuch. Eine Generation später, in meiner Klasse, waren es bloss zwei, drei Frauen ohne Schleier. Mit dem Kopftuch kam auch der Nikab, beides Symbole des politischen Islam, und je stärker er sich ausbreitete, desto radikalisierter wurde auch die Gesellschaft – was letztlich dem IS den Nährboden bereitet hat.
Ich bin nicht gegen den Islam, ich bin ja selber Muslimin. Aber heute wird man aus der Community ausgeschlossen und gilt als Feind, wenn man sich nicht zur fundamentalistischen Weltanschauung bekennt – und diese Tendenzen beobachte ich auch hierzulande. Als zum Beispiel der französische Präsident Emmanuel Macron vergangenen Oktober die Mohammed-Karikaturen verteidigte, gab es in meinem muslimischen Umfeld nur zwei Fronten. Entweder man war für Macron oder für den Islam. Wer Macron unterstützte, galt als antiislamisch. Dazwischen gab es kaum etwas. Das macht mir Sorgen.