Karin Keller-Sutter, die Bundesrätin aus dem Kanton Sankt Gallen, machte am Abend des 7. März 2021 als Vertreterin der Schweizerischen Eidgenossenschaft eine schlechte Falle.
Die Schweiz, die von der Bevölkerungsstruktur her so international aufgestellt ist wie einst das biblische Korinth, hat von ihrem Souverän ein Ja für eine Kleidervorschrift für arabische Frauen einkassiert. Das ist eine Klatsche für Bundesbern.
Bern liess es zu, dass ein Kleidungsstück, egal ob Hijab, Al-Amira, Khimar, Burqa, Niqab oder Chador, zum Symbol einer Kampfreligion und der Frauenunterdrückung heraufstilisiert wurde, was es nicht ist.
Es wurde schon in vorislamischer Zeit von Frauen und Männern als Tücher verwendet, um Körper und Gesicht gegen Sonne, Sand und Insekten zu schützen.
Die Kopfbedeckungen schützen in diesen geografischen und klimatischen Breitengraden gegen Sonne und Insekten, auch vor Sand.
In europäischen Breitengraden werden dafür demgegenüber hoch umweltschädliche Sonnenschutzcrèmes und chemische Insektenrebellenten eingesetzt. Das so nützliche und günstige Kopftuch ist oft obsolet gemacht worden.
Es wird tonnenweise aufgebracht. Dabei beschädigt das Diethyltoluamid (TEET), das von Sonnenbadenden direkt oder übers Duschen ins Wasser getragen wird, Fauna und Flora unserer Flüsse.
Durch Klärprozesse sind Schadstoffe wie dieser nicht auszumerzen. Auf der Wasseroberfläche schwimmend, verhindern sie das Eindringen der Sonne zur Regulierung des Algenwachstums und der Fische.
Auch der Futterstand wird beeinflusst. In Forellen und in den Gewässern werden regelmässig sogar hormonaktive UV-Filter des Typs 4-Methylbenzyldene-Campor-Spuren (4-MBC) nachgewiesen, die über den Grenzwerten liegen.
Ein Land mit einer Klima-Offensive wie die Schweiz, wo die Jugend und Familien auf die Strassen gehen, lässt sich so einen Schmäh aufsetzen, es handle sich bei Kopfbedeckungen aus dem Orient um Kleidungsstücke für die Unterdrückung der Frau oder Camouflage für Kämpfer.
Der Verfassungsartikel 10a – Grundrecht auf Leben und auf persönliche Freiheit – ist eine Schmach für eine Regierung und ein Land, dessen Finanzminister Ueli Maurer mit einer Bänkerdelegation im Schlepp noch Ende Oktober 2019 überraschend kurzfristig nach Saudiarabien flog, um mit König Salman bin Abd al-Aziz Al Saud kurz nach dem Mord an Jamal Kashoggi in der Botschaft von Istanbul († 2.10.2018 – „mit ihm ist das abgehandelt“) umfangreiche Finanzgeschäfte hinsichtlich der Privatisierung volkseigener Ressourcen zu verhandeln.
Die USA haben den Kronprinzen inzwischen für vogelfrei erklärt.
Die Schweiz hilft, diese Länder wirtschaftlich zu plündern, in denen Kleider mit Kopfbedeckungen getragen werden, wie sie unsere Ordensschwestern tragen können. Auch Kleider unserer Ordensschwestern können das Gesicht partiell bedecken.
Die Schweiz kennt gegen zwei Dutzend Orden mit weiblichen Mitgliedern, deren Kleid vornehmlich dazu dient, die Formen zu kaschieren. Den Vorsitz der Konferenz der Vereinigungen der Orden und weitere Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens in der Schweiz, KOVOS, führt übrigens ein Mann.
Das penible Abstimmungsergebnis hat die Schweiz wesentlich der mängelbehafteten politischen Arbeit der EJPD-Chefin Keller-Sutter zu verdanken, die so stolz auf ihre an der Fachhochschule erworbenen sprachübersetzenden Redetalente hinweist.
Auch beim E-ID-Gesetz erlitt Keller-Sutter eine Abfuhr – und was für eine, mit über 60 Prozent Nein.
Der Job der Dolmetscherin wäre es gewesen, die Bevölkerung mit fundierten Inhalten aufzuklären. Sie hätte zu transportieren gehabt, was die Beschlüsse des Parlaments und des Bundesrates wollen, um gegen die bedenkliche Forderung der Burka-Initiative zu mobilisieren.
Das Abstimmungsergebnis ist das Resultat eines üblen Doppelspiels, das vom EJPD ausging und wie es in allen Zeiten der Schweizer Demokratie wohl noch nie so im Raum stand.
Just wenige Wochen vor dem Abstimmungswochenende wurde ein neues Thema im Ständerat durch die Medien getrieben. Danach sollten gewisse sexuelle Belästigungen neu als Vergehen anstatt Übertretung geahndet werden.
Die Absicht ist so genial, aber nach dem Rechtswissenschafter Thomas Fischer, früherer Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats des Deutschen Bundesgerichtshofes, gleichermassen super undurchführbar.
Es geht um nicht beweisbare Sachverhalte. Keller-Sutter benutzte also parallel zur sensiblen Verhüllungsverbots-Abstimmung eine unnötige Diskussion über die Verschärfung des heimischen Sexualstrafrechts, um die Männer der muselmanischen Gemeinschaften als Unterdrücker der Frauen zu brandmarken, die überdies diese Kleider tragen müssten.
Die aus der Kleinen Kammer kommende Bundesrätin hat im Ständerat eine Gefolgschaft gefunden, die sich gegen die Interessen des vorliegenden Bundesbeschlusses instrumentalisieren liess.
Damit signalisierte sie, dass die Trägerinnen von klimatisch indizierten Kleidungsstücken, die unbestrittenermassen auch als Trachten gelesen werden können, der Unterdrückung der Frauen durch die Männer dienten.
Aber die Trachten der dortigen Frauen werden so wenig in Appenzell getragen wie die Appenzeller Trachten in der Wüste.
Es war grösstmögliche Heuchelei, was über ihre Zunge lief, als sie in der Medienkonferenz im Bundeshaus vor laufenden Kameras äusserte, das Abstimmungsresultat von 51,2 Prozent Volks- und 18 Stände-Ja-Stimmen sei „kein Votum gegen Muslime in der Schweiz“.
Die Aussage widerspricht dem gesamten Laufbahnleben der Bundesrätin.
Das Abstimmungsergebnis richtet sich gegen Menschen, die aus einer geografischen Gegend kommen, wo das Bedürfnis nach Sonnen-, Insekten- und Sandschutz vollumfänglich koinzident mit der dortigen Glaubenspraktik des Islams ist.
Aber es besteht weder eine Kausalität zur Religion noch eine Korrelation. Insofern der Schutz der Haut über die Religionsinstitutionen an die Menschen herangetragen würde, geschähe dies, weil das Gesundheitswesen Sache der Institutionen wäre.
Sepp Estermann hat als Zürcher Stadtpräsident in der Phase der Kosovo-Migration ebenfalls die Kultus- und Kulturvereine benützt, um den eingewanderten Frauen die Waschküchenordnungen in den Wohnblöcken vermitteln zu lassen.
Die Stadtpolizei wurde dadurch von Einsätzen bei Hausfrauenstreitigkeiten entlastet. Aus der sinnvollen Massnahme konnte er keine Vorteile für seine Wahl ableiten. Aber in den Quartieren kehrte Frieden ein.
Keller-Sutter ist aus ihrer Zeit von 2000 bis 2012 als Justiz- und Polizeidirektorin am Oberen Graben in der Pfalz für ihre Empfänglichkeit für ausländerkritische Strömungen bekannt.
Gefördert vom nicht wenig anders veranlagten Gratisblätter-Grossverleger Rolf-Peter Zehnder, wo ihr Bruder Chefredaktor war, unterblieb in den Spalten nichts, das nicht ihrer Förderung genützt und ihre Wirksamkeit in gleissendes Scheinwerferlicht getunkt hätte.
Nicht nur das. Keller-Sutter war anschliessend von 2012 bis 2016 Mitglied des Verwaltungsrates der AG für die Neue Zürcher Zeitung. Die Mandatesammlerin heftete nach der Regierungsphase fast an jeden Finger ein Verwaltungsratsmandat, meist im Bereich der Finanz.
In den Vorstand der NZZ-Mediengruppe dürfte sie wohl über Konrad Hummler geraten sein, der just im gleichen Jahr fluchtartig ausscheiden musste. Jemand steigerte sich 2017 in die Behauptung, Karin Keller sei die mächtigste Politikerin der Schweiz.
Spätestens seit gestern steht sie als schwaches Glied der Landesregierung da.
Die NZZ, in deren Nähe Keller-Sutter steht, quillt regelmässig mit prononcierten Artikeln gegen Muslime namentlich in Bezug auf die Stadt Winterthur über, wo vier Moscheen für den Anteil von 15 Prozent an Muslimen an der Einwohnerschaft leben.
Selbst gegen die Verteilung von Koranen zog die NZZ vom Leder, bis die Stadtverwaltung die Duldung dafür aufgab.
Der Chefredakor himself titelte sogar am 19. Februar 2021 zum Abstimmungsauftakt mit „Burka und Nikab sind die Wahrzeichen einer totalitären Ideologie – deshalb gehören sie verboten“.
Die Nähe Keller-Sutters zu dem Autor, der über knapp 1’300 Wörter eine „reale Gefahr“ herbeischrieb, ist unverkennbar.
Zudem hat Keller-Sutter es unterlassen, die heutigen kantonalen Polizei- und Sicherheitsdirektoren im Sinne der Beschlüsse des Parlaments und des Bundesrates gegen die bedenkliche Forderung der Initiative zu mobilisieren.
Voten der Kantonsregierungen an die Bevölkerung zeigen regelmässig Wirkung, wie auch in Ausserrhoden bei Andrea Caroni abzulesen war.
Die 26 Kantone könnten sich ihrer Pflicht entziehen, Gesetze über ein Verhüllungsverbot zu erlassen, wie der Initiativtext es fordert. Alle Rechtssätze der Schweiz müssen gestützt auf Art. 5 BV im öffentlichen Interesse und verhältnismässig sein.
Beide Gestaltungskomponenten sind nicht erfüllt, weil die Kopfbedeckungen in der Schweiz nicht im Entferntesten ein Problem darstellen. Da das Bundesgericht die Verfassung in seinen Urteilen aussen vor lassen muss, kann niemand die Kantone zum Erlass von Gesetzen über Verhüllung zwingen. Die Wirkung wäre allerdings politisch frustrierend.
Die neue Vorschrift in der Verfassung ist neben dem Minarettverbot ein weiteres Symbol der Kopflosigkeit, mit der die Volksmeinung durch mangelhafte politische Dolmetscherarbeit in ihrer Stockung und Voreingenommenheit gegen alles Fremde auffällt.
Die Zustimmung zu dieser Initiative ist weitgehend dem Stallgeruch zu verdanken, der aus der Äbtestadt Wil SG nach Bern getragen wird.
Sollten die Kantonsregierungen dem Gesetzgebungsauftrag Folge leisten, führt dies zu Kafkaesken Zuständen. Allein müssen sich in den 26 Parlamenten tausende Kantonsparlamentarier mit dem Thema herumschlagen. Gesetze müssen von Beamten in die Rechtssammlungen eingebaut werden und Polizisten sensibilisiert und geschult werden – obwohl kaum jemals irgendwo eine Person lokalisiert werden wird, die eine vermummende Kopfbedeckung trägt.