"Was hat die denn da an?" - "Hat die zugenommen?" - "Der Haarschnitt steht ihr aber gut!" Liz Shoo fordert, dass wir uns künftig Kommentare wie diese über Politikerinnen verkneifen und stattdessen lieber ihre Arbeit beurteilen sollten.
Von Liz Shoo
Dialogbox
Freud und Leid liegen nah beieinander. Das hat Ricarda Lang in den letzten Wochen deutlich zu spüren bekommen. Auf der einen Seite feiert sie einen riesigen politischen Erfolg. Mit 28 Jahren ist sie zur neuen Co-Chefin der Grünen gewählt worden. Zur gleichen Zeit wird sie in den sozialen Medien - vor allem auf Twitter - von einer Troll-Armee massiv beleidigt und beschimpft. Und in den meisten Hass-Kommentaren geht es bloß um eins: ihr Übergewicht.
Body-Shaming statt guter Gegenargumente
Mehrere Tage trendet ihr Name auf Twitter. Unter anderem wird sie dafür kritisiert, dass sie eine Impfpflicht für Menschen ab 50 Jahren fordert. Reaktion der User im Netz: Mit ihrem Gewicht sei sie doch viel eher die Risikogruppe und solle sich gefälligst selbst impfen.
Damit wird Lang immer wieder online angegriffen. Zum Glück ist sie eine starke, selbstbewusste Frau, die sich von Trollen nicht verunsichern lässt. Ihre Message: Ich bin wie ich bin, kommt damit klar!
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Baerbocks Mäntel, Sudings Beine
Mich nervt es, dass bei Frauen in Machtpositionen immer noch stark das Aussehen, die Kleidung oder der Gesichtsausdruck in den Vordergrund gestellt werden. 16 Prozent der Politikerinnen in Deutschland sagen, dass ihr Äußeres häufig thematisiert und sie danach beurteilt werden. Von Kolleginnen und Kollegen, von uns Medien und von Menschen in Sozialen Netzwerken. So gerät oft das, was Politikerinnen sagen und wofür sie stehen, in den Hintergrund.
Als Außenministerin Annalena Baerbock ihre ersten Auslandsreisen nach Frankreich, in die USA, nach Russland oder in die Ukraine gemacht hat, stand ein Detail ganz stark im Fokus: ihre Mäntel.
Außenministerin Annalena Baerbock in Washington
Dass danach Magazine wie Bunte oder Gala über Baerbocks Kleidungsstil geschrieben haben, ist nicht weiter überraschend. Doch mich wundert es, dass auch "seriöse" Medien die Outfits berichtenswert fanden. In einem Online-Artikel des Münchner Merkurs wird im ersten Teil zwar von Baerbocks "heikler Mission" in der Ukraine und in Russland gesprochen, doch im zweiten Teil geht es nur noch um Reaktionen auf Baerbocks Mantelwahl bei ihren Reisen.
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Und einen Tag nachdem die Außenministerin in Moskau versucht hat, einen drohenden Krieg zu deeskalieren, interviewt Focus Online eine Trend- und Modeforscherin dazu, was hinter Baerbocks knalliger Farbwahl steckt. Eine Analyse der eigentlichen Botschaften der Pressekonferenz wäre mir hier viel lieber gewesen.
Dass bei Politikerinnen auch in entscheidenden Momenten ihrer Karriere nicht selten ihr Äußeres für Schlagzeilen sorgt, davon kannFDP-Politikerin Katja Suding bestimmt auch ein Liedchen singen. 2015, eine Woche vor der Bürgermeisterwahl in Hamburg. Suding ist Spitzenkandidatin der FDP. Worüber spricht ganz Deutschland? Über diesen einen Schwenk auf ihre Beine, gesendet zur Primetime in der Tagesschau.
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Doppelmoral
Natürlich nehmen wir das Aussehen immer als erstes wahr. Und ob wir es zugeben oder nicht, ein Stück weit bewerten wir andere immer auch danach. Doch warum ist die Optik bei Politikerinnen berichtenswert, bei ihren männlichen Kollegen aber nicht? Nach Baerbocks Russlandreise konnte ich keine Bildergalerie mit Anzügen und Krawatten ihres Amtskollegen Lawrow finden. Und was ist mit Anthony Blinken, dem US-Außenminister? Warum gibt keine Redaktion Geld dafür aus, mal ein Stück über Blinkens Hemden, Schuhe oder Einstecktücher zu schreiben?
Auch beim Thema Figur ist die Doppelmoral allgegenwärtig. Ricarda Lang wird aufgrund ihres Gewichts kritisiert, beschimpft und für inkompetent gehalten. Spielte bei Ex-Wirtschaftsminister Altmaier oder Ex-Kanzleramtsminister Braun das Gewicht auch eine Rolle bei der Beurteilung ihrer Kompetenz?
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Auch Komplimente schaden
Man könnte meinen, dass es darum geht, nichts Negatives über Politikerinnen und ihre Figuren, Frisuren oder ihre Outfits zu sagen oder zu schreiben. Doch am besten wäre es, die Optik gar nicht erst zu thematisieren. Denn auch wer eine Politikerin für ihre Stilsicherheit lobt, reduziert sie auf ihr Äußeres. So rücken die Inhalte, für die sich Politikerinnen stark machen, das was sie ausmacht, ihre beruflichen Fähigkeiten, sofort in den Hintergrund. Das belegt eine Studie aus den USA.
Befragungen von potentiellen Wählerinnen und Wählern haben gezeigt, dass mediale Beschreibung des Aussehens einer Kandidatin negative Auswirkungen auf ihre Chancen bei der Wahl hat.
In einem Land, in dem 40 Prozent der Politikerinnen sagen, dass sie sich mehr anstrengen müssen als ihre männlichen Kollegen, um etwas zu erreichen, ist das für sie eine zusätzliche Hürde im männer-dominierten Politikbetrieb.
Diskussion im Keim ersticken
Bunte Blazer, dunkle Hosen - die "Uniform" von Alt-Kanzlerin Merkel
Was können Frauen also dagegen tun? Manche suchen sich wie Angela Merkel eine Uniform aus. Bunte Blazer, dunkle Hosen, mal eine Kette. Am Anfang reden alle darüber. Irgendwann hat sich die Öffentlichkeit aber, wie bei den Männern und ihren Anzügen, dran gewöhnt. Doch egal wie man’s als Politikerin macht: Früher oder später werden Garderobe oder Körperbau in irgendeiner Form doch wieder kommentiert: Zu eng, zu locker, zu bunt, zu dunkel, zu schlank, zu dick, zu dünn.
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Deshalb schlagen Experten vor, das Gespräch gar nicht erst entstehen zu lassen. Sobald Fragen oder Kommentare zu Schuhen, Kleidern oder Haaren gestellt werden, sei es ratsam, einfach mit Sätzen wie diesen zu kontern: "Das hat keinen Platz in den Medien", "Das hat keinen Nachrichtenwert", oder direkt "Wir müssen mit dieser Art von Berichterstattung über Kandidatinnen aufhören". Boom! Thema beendet und jetzt bitte Fragen zu Inhalten, Haltung, Meinung.
Das funktioniert aber natürlich nur in Interview-Situationen.
Als Gesellschaft müssen wir mit diesen oberflächlichen Bewertungen aufhören. Und als Medien müssen wir unsere Hausaufgaben machen und uns mehr damit beschäftigen, was eine Politikerin denkt, statt was sie trägt. Denn es gibt wahrlich dringendere Themen.
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Mir gefällt, wie Angela Merkels damaliger stellvertretender Pressesprecher die mediale Aufregung über das Dekolleté der Kanzlerin bei einer Operneröffnung kommentiert hat: ""
Wie sieht es bei Ihnen aus? Kommentieren Sie die Outfits oder Frisuren von Politikerinnen auch häufiger als bei deren männlichen Kollegen? Und würden Sie zustimmen, dass wir alle - Medien und Privatpersonen - mit dieser oberflächlichen Bewertung aufhören und stattdessen die Leistung in den Fokus nehmen sollten? Lassen Sie uns gerne darüber diskutieren - in den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.
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Kommentare zum Thema
Kommentarfeld
64 Kommentare
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Kommentar 63:Annaschreibt am 06.02.2022, 18:34 Uhr:
Liebe Liz,herzlichen Dank für diese hervorragende Stellungnahme!!!Sie sprechen mir aus der Seele!!!Egal ob eine Frau aussieht wie Barby oder Miss World, sobald eine intelligente Frau eine erfolgreiche und gut bezahlte Stellung einnimmt, oder es wagt aus der "gesellschaftlichen Schublade" zu springen und sich selbstständig und unabhängig verhält, ihrem eigenen Lebenstraum folgend, wird an ihrem Äußerem herumkritisiert. Anstatt uns Frauen als "Ganzes" wahrzunehmen und unsere Charakterstärke anzuerkennen, werden wir von vielen Seiten angefeindet. Im Grunde genommen ist es der bloße Neid, dass wir starken, energiegeladenen Frauen, nicht der Angst beugen!!Liebe Liz, schreiben Sie bitte weiterhin solch hervorragende Kommentare. Sie haben meine vollste Unterstützung.
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Kommentar 62:Susanneschreibt am 06.02.2022, 16:25 Uhr:
https://www.dieunbeugsamen-film.de/ können ein Lied davon singen!
Weitere Kommentare
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Kommentar 61:Marco S.schreibt am 06.02.2022, 15:46 Uhr:
Sorry für meine Kritik – doch gerade Sie sollten wissen, wenn man etwas zu einem Thema schreibt, nährt man die weitere Diskussion. Jede Meldung oder Berichte/Kolumnen halten das Thema nur am Laufen und bringt dazu neue Diskutanten in den sozialen Medien die Kund tun das Sie hinter der neuen Meinung stehen. Das sorgt dann für neue Diskussionen, wo Thema lebendiger ist wie je zuvor. Da ist es völlig unabhängig davon, ob etwas geschrieben wird und zur Vernunft aufzufordern. Alles ganz nachdem herrschenden Marktgesetzt zur Förderung der eigenen Reichweite seines Journalisten Produktes. Es fällt mir persönlich sehr schwer zu glauben das Sie diesen positiven Effekt unbeachtet gelassen haben bei der Wahl Ihres Artikels. Auf jeden Fall habe Sie eines jetzt nicht erreicht, dass die Diskussionen abnehmen wird. Ein wenig mehr Weises Handeln wäre hier besser angebracht gewesen wenn man wirklich etwas positives Bewegen wollte – wenn!