HAGEN. Die Schule kann ihr nicht garantieren, dass sie sich im Klassenraum nicht mit Corona infiziert. „Wir können die vorgeschriebenen Hygieneregeln an unserer Schule gar nicht einhalten“, sagt die Schulleiterin. Eine 13-jährige Schülerin sitzt deshalb – mit Einverständnis der Eltern – bei eisigen Temperaturen vor dem Schulgebäude, um zu lernen. Die Protestaktion hat jetzt das Jugendamt und die Bezirksregierung auf den Plan gerufen, wie die „Westfalenpost“ berichtet: Den Eltern wird jetzt mit Inobhutnahme des Teenagers gedroht. Auch die Schulaufsicht hat sich eingeschaltet.
Mit der Entschlossenheit der Klimaaktivistin Greta Thunberg sitzt das Mädchen auf dem Schulhof vor dem Eingang zur Hagener Heinrich-Heine-Realschule. Es versteht die Aktion als Protest gegen eine Schulpolitik, die augenscheinlich die Durchseuchung der Schülerschaft in Kauf nimmt, ohne sich um vulnerable Kinder und Jugendliche zu kümmern. „Ich halte mich an alle Hygieneregeln. Es gibt viele Kinder wie mich. Aber es gibt auch solche, die sind nicht geimpft und halten sich nicht an die Regeln. Und mit denen setze ich mich nicht mehr zusammen in einen Raum“, sagt die Schülerin, die als Risikopatientin gilt. Formal könnte sie sich aufgrund ihrer Vorerkrankung vom Präsenzunterricht befreien lassen. Nur: Dann hätte sie keinen Anspruch auf Unterricht. Dem folgt sie jetzt online auf ihrem Laptop-Bildschirm draußen vor dem Schulgebäude.
Das Hagener Jugendamt sieht laut einem neuen Bericht der „Westfalenpost“ das Wohlergehen des Mädchens gefährdet. Mit einem schulpsychologischen Gutachten will es erreichen, dass die Schülerin – isoliert von ihren Mitschülern aus der 7. Klasse – in einem eigenen Raum unterrichtet wird: „Der Protest ist vielleicht gut gemeint, aber es handelt sich um ein 13-jähriges Kind, das bei Wind und Wetter draußen sitzt und das Ganze nicht überblickt“, so zitiert das Blatt den Leiter des städtischen Fachbereichs Jugend und Soziales. Sollte die Schülerin die Aktion auf dem Schulhof fortsetzen, werde er eventuell ihre Inobhutnahme anordnen.
Auch die zuständige Bezirksregierung in Arnsberg sorgt sich nach eigenem Bekunden um die Gesundheit der Schülerin. „Es kann nicht sinnvoll sein, in der Kälte zu bleiben, auch wenn man ein Zeichen setzen will“, so ein Sprecher der Behörde, bei der auch die Schulaufsicht angesiedelt wird. Er zeigt sich verständnisvoll.„Die Schülerin kämpft ja für schulische Bildung, und wir versuchen, uns in ihre Position hineinzudenken.“ Der Bezirksregierung schwebe ein Kompromiss vor, der es dem Mädchen möglich machen soll, in einem separaten Raum oder auch zu Hause online am Unterricht teilzunehmen.
„Und wenn die Politiker das nicht gebacken kriegen, werde ich versuchen, weitere Mitstreiter in ganz Deutschland zu finden“
Nur: Die 13-Jährige kämpft gar nicht allein für schulische Bildung. Sie kritisiert den fehlenden Infektionsschutz in der Schule. Überall würden Ungeimpfte „rausgeschmissen“, so zitiert sie das „Westfalenblatt“: „Nur in den Schulen nicht, und das finde ich doof.“ Sie selbst ist geimpft. Viele junge Leute hätten in der Pandemie super mitgearbeitet und ihre Jugend verloren, sagt die Schülerin: „Alles ohne zu murren. Nun allerdings werden wir wie ein Lamm zur Schlachtung in die Schule geschleift, damit wir alle durchseucht werden.“ Weiter betont sie: „Für meine Sache kämpfe ich. Und wenn die Politiker das nicht gebacken kriegen, werde ich versuchen, weitere Mitstreiter in ganz Deutschland zu finden und es so hinzukriegen.“ Klingt nicht nach Kompromissbereitschaft.
Die Schulleiterin – der die Bezirksregierung offenbar Druck macht – steht hinter der Aktion des Mädchens. Sie werde der Schülerin auf Wunsch einen eigenen Raum in der Schule zur Verfügung stellen. „Wenn sie aber darauf besteht, auf dem Schulhof zu bleiben, dann werden wir sie nicht daran hindern“, sagt die Rektorin. Die Schule nehme sehr wohl ihre Fürsorgepflicht wahr: „Wir versorgen sie mit Tee, und sie wärmt sich regelmäßig im Gebäude auf.“ Wenn es das Wetter nicht zulasse, werde die Schülerin sich auch nicht auf dem Schulhof aufhalten: „Wir sorgen dafür, dass sie nicht auskühlt.“
„Sie möchte auf Missstände hinweisen, und das finde ich gut. Sie ist kein Kleinkind mehr“
Grundsätzlich befürwortet die Schulleiterin das mutige Auftreten ihrer Schülerin: „Sie möchte auf Missstände hinweisen, und das finde ich gut. Sie ist kein Kleinkind mehr, sondern ein sehr reflektierter Mensch. Sie will kämpfen.“ Und überhaupt: Sie werde ihre Schülerin zu nichts zwingen. Als Schulleiterin sei sie auch verantwortlich für die persönliche Entwicklung der ihr anvertrauten jungen Menschen, die zu eigenständig denkenden und kritischen Menschen heranreifen sollten. „Deshalb darf an dieser Schule jeder, der ein berechtigtes Interesse hat, seinen Mund aufmachen.“ News4teachers / mit Material der dpa
Hier geht es zum aktuellen Bericht in der „Westfalenpost“.