ARD und ZDF widmen dem Besuch des israelischen Staatspräsidenten Isaak Herzog in Abu Dhabi in den Hauptnachrichten immerhin eine Meldung. Aber keiner der Nahost-Experten wird zur politischen Einordnung aufgerufen. Er müsste zugeben: Die islamischen Brüder in den Vereinigten Arabischen Emiraten erwähnen die Zwei-Staaten-Lösung mit keinem Wort. Und Saudi-Arabien, der Bewahrer der heiligsten Orte im Islam – Mekka und Medina – gewährt dem israelischen Gast und Israels nationaler Fluggesellschaft ELAL zeitsparende Überflugrechte.
Mehr noch: in den zwei Wochen vor Herzogs Besuch bombardieren Houthi-Terroristen aus dem Jemen zweimal Abu Dhabi. Im ersten Fall gibt es Tote, Verletzte und grössere Sachschäden im Umfeld von Abu Dhabi. Im zweiten Angriff fangen Raketen die Geschosse der Houthi ab. Jeder weiß und das wird auch nicht bestritten: die Drohnen und ferngelenkten Angriffswaffen sind „made in Iran“.
KorruptionsverdachtIsrael: Drei deutsche U-Boote – viele FragenWährend rund um die Ukraine jeder russische LKW die Nachrichten in Bild und Ton füllt, von einer ernsten Bedrohung durch eine mögliche russische Aggression in Europa umfangreich auf allen TV-Sendern ausführlich geredet wird, schauen die Redaktionen von ARD und ZDF, die sündhaft teure Korrespondenten-Büros in Tel Aviv und Kairo unterhalten, betreten weg. Im Nahen Osten verändert sich gerade die Welt grundlegend und niemand hält die sonst üblichen 1:30-Berichts-Minuten pro Tagesschau oder Heute-Sendung für angemessen? Niemand will dem geneigten Zwangsgebühren zahlenden Zuschauer erklären, warum hier Präzisions-Angriffswaffen aus dem Iran über 1000 Kilometer aus dem Jemen auf ein friedliches Land gefeuert werden? Nicht vergleichbar mit den teilweise selbstgebauten Billig-Geschossen, die immer wieder und seit Jahren aus Gaza in das 90 Kilometer entfernte Tel Aviv fliegen.Und woher kommen die Abfangraketen, die wenige Tage vor dem israelischen Staatsgast Geschosse aus dem Jemen in der Luft unschädlich gemacht haben? Es wird gemutmaßt, dass Südkorea hilft. Ist es denkbar, dass Israel seinen Staatspräsidenten erstmals in ein arabisches Land schickt, ohne ihn vor iranischen Raketen zu schützen? Es ist hinlänglich bekannt, dass Israel das einzige Land weltweit ist, das über ein praxis-bewährtes Iron-Dome-Raketen-Abfang-System verfügt – zuletzt im Mai 2021 unter Beweis gestellt.
Herzogs Besuch war auch kein Schnellschuss. Er übernachtete dort begleitet von Israels First Lady Michal, eröffnete den Israel-Stand auf der Expo 2020 Dubai, eine Autostunde von Abu Dhabi entfernt. Und er traf sich auch mit Vertretern der jüdisch-israelischen Gemeinde in den Emiraten, die koschere Küchen im Land unterhalten. Klingt doch alles nach einer breit angelegten gemütlichen Staatsvisite.
Isaak Herzog ist nicht irgendwer. Sein Vater war Gründer des israelischen Geheimdienstes und später Staatspräsident. Sein Großvater war Oberrabbiner von Großbritannien und sein Bruder ist General der Israel Defence Forces und neu ernannter Botschafter in Washington. Familien werden in der arabisch-muslimischen Welt respektiert und unterstützen den Auf- und Ausbau der Beziehungen seit der Unterzeichnung der Abraham Abkommen im September 2020.
Wald in der Wüste NegevIsrael: Beduinen-Proteste gegen Bäume-Pflanzen lösen Staatskrise ausDer wesentliche Grund, warum die VAE die Nähe zu Israel suchen, ist die Tatsache, dass Israel als Start-up-Nation vor gut 20 Jahren gestartet ist und heute eine digitale Weltmacht ist. 2021 sind 81 Milliarden US-Dollar in israelische Firmen der Branchen Künstliche Intelligenz, Fintech, Foodtech, Medtech und Autonomous Driving, also dem selbstfahrenden Auto, geflossen. Pro-Kopf-gerechnet kann kein anderes Land bei diesem Wettbewerb mithalten. Und diese Firmen sind zwischen Tel Aviv, Haifa und Jerusalem zu Hause, aber inzwischen weltweit aufgestellt.Der ehemalige Ministerpräsident Netanyahu und und der jetzige Bennett pflegen regen Telefonkontakt mit Washington, Moskau und Peking. Dort werden die Telefonhörer abgenommen, wenn Jerusalem anruft. Das ist der tiefere Grund, dass der VAE-Herrscher Mohammed bin Zayed Präsident Herzog nicht nur per Handschlag begrüßt – für alle sichtbar wird vierhändig gekuschelt und das Militär-Orchester spielt die israelische Nationalhymne live.
Leistung wird honoriert in diesen Kreisen. Und wo ist Europa? Es gibt zustimmende Presseerklärungen, aber die Strippen aus und in den „Neuen Nahen Osten“ laufen an Brüssel und den meisten Hauptstädten des Abendlandes vorbei. Das Eingeständnis, man habe jahrzehntelang moralisierend, aber erfolglos auf eine Zweistaatenlösung gesetzt hat, mag schmerzhaft sein und einen Gesichtsverlust zur Folge haben. Aber je früher eine Neuausrichtung der Nahost-Politik wie sie die VAE vorgibt, eingeleitet wird, desto besser.
Die Analysten der arabischen Abraham-Accord-Unterzeichner, allen voran die VAE, haben erkannt, dass alle Versuche, eine arabische Einheit, eine gemeinsame Vision oder Strategie, selbst eine unkomplizierte Wirtschaftsgemeinschaft der öl- und dollarreichen Golfländer einzurichten, in den letzten Jahrzehnten stets gescheitert sind. Es zeichnet sich immer mehr ab, dass die Herrschaft über Daten und die Kreativität der Software in erster Linie die Zukunft der Wirtschaft bestimmen.Damit fällt die Entscheidung der Abraham-Accord-Unterzeichner zwischen Iran, Syrien, Gaza, Hisbollah im Libanon, der PLO in Ramallah oder eben Israel nicht allzu schwer. Deshalb ist der erste Satz von Scheich Mohamed Bin Zayed, den das Protokoll zitiert, keine Überraschung: „Ich danke Ihnen (Präsident Herzog) für ihre klare Haltung zu den jüngsten Terror-Angriffen auf zivile Einrichtungen in VAE. Diese Haltung legt Zeugnis ab von unserer gemeinsamen Sichtweise gegenüber den Bedrohungen der Stabilität unserer Region, die von Milizen und terroristischen Kräften ausgeht. Es ist wichtig, ihnen entschieden gemeinsam entgegen zu treten“.