Was, wenn da plötzlich immer diese flüchtigen Berührungen sind, diese subtil anzüglichen Sprüche, vielsagende Blicke? Was, wenn einem diese Situation unangenehm ist, man "Nein!" sagt, und es dennoch so weitergeht? Sexuelle Übergriffe haben viele Gesichter. Nicht immer ist es einfach, sie als das wahrzunehmen, was sie sind – und vor allem, sich dagegen zu wehren. Gerade, wenn sie am Arbeitsplatz vorkommen. Was, wenn sexuelle Übergriffe sogar in Krankenhäusern passieren? Zwischen Kolleg:innen und Kolleginnen, zwischen Patient:innen und Pflegenden. Was tun? Eine Ludwigsburger Klinik hat gehandelt.
Sexuelle Belästigung in der Klinik: gar nicht mal so selten
Grenzen werden immer wieder überschritten. Oft hat das mit einem fragwürdigen Gefühl von Macht zu tun. Da möchte der Patient von der Pflegerin doch bitte etwas "intensiver" behandelt werden. Oder die Kollegin akzeptiert nach mehreren Malen "ein bisschen zu nahe kommen" einfach kein Nein.
Der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) zufolge kam es im Jahr 2019 zu 83 körperlichen und verbalen Gewaltvorfällen pro Krankenhaus. So steht es im Krankenhaus Barometer 2019 des Deutschen Krankenhausinstituts. Ermittelt wurde die Zahl anhand von Umfragen. Und die zeichnen dieses Bild: In den vergangenen fünf Jahren haben solche Übergriffe in 59 Prozent der befragten Krankenhäuser zugenommen. Vor allem Pflegerinnen sind betroffen, demnach überproportional von Übergriffen durch Patienten und Dritte. Vor allem in der Notfallambulanz kommt es zu Gewalt. Doch auch innerhalb des Kollegiums gibt es Fälle.
Wo hört der blöde Spruch, die flüchtige Berührung auf und wo fängt die Belästigung an? Die Grenzen sind fließend – und gerade für Betroffene oft schwer einzordnen. Doch in den Gedanken bleiben diese Momente bestehen und nagen. Der Weg in die Öffentlichkeit oder zumindest zur Vorgesetztenebene fällt schwer. Daher dürfte die Dunkelziffer weitaus höher sein, so steht es auch im Krankenhaus Barometer.
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Ansprechperson für Betroffene: Ombudsfrau berät
Für Betroffene sexualisierter Gewalt ist es alles andere als einfach, sich dagegen zur Wehr zu setzen. "Ach das war doch nur ein blöder Spruch" – so wird's oft abgetan, im schlimmsten Fall besteht die Befürchtung, sich den eigenen Ruf zu ruinieren, weil das Problem nicht ernstgenommen wird. Und dann ist da noch die Angst, sich karrieretechnisch ins Aus zu befördern, insbesondere wenn es sich bei den übergriffigen Kolleg:innen um Vorgesetzte handelt.
Für solche Fälle setzen etwa die RKH Kliniken in Ludwigsburg jetzt eine Ombudsfrau an, an die sich Betroffene wenden können. Damit soll ihnen eine niedrigschwellige und vertrauliche Möglichkeit gegeben werden, die Probleme zu äußern und gemeinsam zu überlegen, wie man weiter vorgeht. "Null Toleranz für sexuelle Belästigung" sowie jegliche Diskriminierung auch aus anderen Gründen soll in seinen Krankenhäusern gelten, zitiert die Deutsche Presse-Agentur (dpa) RKH-Geschäftsführer Jörg Martin: "Es ist uns ein großes Anliegen, dass sich unsere Beschäftigten an ihrem Arbeitsplatz wohl und sicher fühlen."
Die Position in Ludwigsburg übernimmt Stefanie Lejeune, Rechtsanwältin und ehemalige Politikerin. Betroffene nehmen das Angebot bereits an. "Wenn sie das Gespräch mit mir suchen, kann das Erlebte durchaus drastisch sein", so Lejeune.
Ombudsfrau berichtet: Hilfe holen fällt schwer
Vor allem an Kliniken, man sollte es nicht meinen, sei das Risiko für Übergriffe hoch, schließlich arbeite man dort zwangsläufig in engem Körperkontakt. "Das betrifft Patienten und Personal sowie die Kollegen und Kolleginnen untereinander." Sie berichtet von Vorgesetzen, die ihre Position ausnutzten, weil eine Beschwerde an deren Vorgesetzte wiederum für Betroffene mit nochmals höheren Hürden verbunden ist.
Da sind dann große Hemmungen, das Erlebte öffentlich zu machen, sagt sie über die großteils weiblichen Opfer. Es entstehe dann sogar eher der Gedanke, dass man vielleicht sogar selbst unwissentlich provoziert habe oder das Geschehene einfach falsch interpretiere. Je jünger, desto eher würden Betroffene einfach nichts sagen. "Manche Betroffene können erst nach Jahren über das Vorgefallene sprechen und wollen die Täter dann zur Verantwortung ziehen, damit andere nicht dasselbe Unrecht erleiden müssen", schildert die ehemalige Richterin ihre Beobachtungen.
Schutz vor sexuellen Übergriffen: Arbeitgebende stehen in der Verantwortung
Lejeune nimmt ganz klar auch die Arbeitgebenden in die Pflicht, hier Fürsorge zu leisten. Jeder Vorgesetzte und insbesondere jede:r Arbeitgebende, die oder der entsprechende Hinweise auf Übergriffe erhalte – ob zwischen Personal oder Angestellten und Patienten –, müsse diese ernst nehmen und ihnen nachgehen sowie die Betroffenen unbedingt schützen.
Dafür sollten auch andere mögliche Anzeichen immer genau beobachtet werden, etwa eine hohe Fluktuation in der Belegschaft oder häufige Fehlzeiten. "Wer hat weggeschaut und was können wir tun, damit Beschäftigte intervenieren, wenn Kollegen oder Kolleginnen sich verbalen oder körperlichen Attacken ausgesetzt sehen." Diese Frage sollte ebenfalls zentral gestellt werden.
Seit April 2021 ist Lejeine in Ludwigsburg "im Amt" – und die Bilanz sei positiv. Zwar wäre es natürlich besser, wenn der Bedarf gar nicht erst vorhanden wäre – doch es gibt ihn. Aber die eingeleiteten Schritte gegen sexuelle Belästigung in den Kliniken zeigten sich bereits als wirksam.
"Macht den Mund auf, schämt euch nicht, ihr habt nichts falsch gemacht." Mit diesen Worten wendet sich eine betroffene Intensivpflegerin via dpa an andere, die ähnliche Erfahrungen machen mussten. Allein diesen Satz für sich selbst zu akzeptieren ist schwer. Gut, wenn Menschen wie Stefanie Lejeune da sind, die dabei unterstützen können.
Übrigens: Sexuelle Belästigung geht auch verbal: So wehren sich Frauen gegen Catcalling.
Und dass der sensible medizinische Bereich ganz sicher nicht frei von diesem Thema ist, zeigt dieser Artikel: Immer wieder werden Frauen beim Corona-Test sexuell belästigt.
Sollten Sie auch Opfer solcher verbaler oder gar körperlicher Attacken geworden sein, zögern Sie nicht, sich jemandem anzuvertrauen und Hilfe zu suchen, beispielsweise beim Weißen Ring.