100 Jahre: Die Glitzerkiste Friedrichstadt-Palast | Sächsische.de

Von Julia Kilian

Berlin. Was an der Fassade kräftig funkelt, erinnert am Hintereingang ein wenig an Turnhalle. Lichtröhren hängen an den Wänden. Ein Automat spuckt Schokoriegel und Cola-Flaschen aus. Eine Tänzerin im Roboteranzug macht sich fertig für die Show. Kein Theater in Berlin zieht so viele Besucher an wie der Friedrichstadt-Palast, der jetzt 100 Jahre Bühnengeschichte feiert.

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"Die meisten denken vielleicht, wir kommen her und dann machen wir's Licht an und dann geht's los", sagt Olaf Eichler. "Aber ist nicht so." Mit seinem Team hat der Beleuchtungschef gerade Hunderte Scheinwerfer getestet. Macht er immer, vor jeder Show. Will man etwas über die Geschichte des Theaters erfahren, ist man bei ihm richtig.

Friedrichstadt-Palast, das erinnert viele an Showgirls und Akrobatik, an DDR-Fernsehen und "Ein Kessel Buntes". Dabei reichen die Ursprünge des Theaters noch länger zurück. Am 29. November 1919 gründete Max Reinhardt das Große Schauspielhaus, in dem etwa die Comedian Harmonists auftraten. Es folgte ein dunkles Kapitel.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 musste Reinhardt das Land verlassen. Die Nazis nannten das Haus in "Theater des Volkes" um, im Zweiten Weltkrieg wurde es beschädigt und später unter anderem als Wärmehalle genutzt. Während der deutschen Teilung entwickelte sich der Palast zu einem Sehnsuchtsort im Osten.

Die Leute hätten in Schlangen gewartet, wenn neue Tickets verkauft worden seien, sagt Beleuchtungschef Eichler. Karten für den Friedrichstadt-Palast? Die seien fast eine zweite Währung gewesen, etwa wenn man die Wartezeit zur Autoanmeldung haben verkürzen wollen, wenn man Ersatzteile gebraucht habe oder "ein paar Fliesen".

Den Namen "Friedrichstadt-Palast" trägt das Theater seit der Nachkriegszeit, die Mitarbeiter reden aber oft nur vom "Palast". Eichler ist seit 1983 dabei, damals steckte das Theater im Umbruch. Die DDR-Bauaufsicht hatte das damalige Gebäude geschlossen. In der Nähe entstand ein Ersatzbau - der bekannte Prachtbau mit Wasserbecken und Eisfläche, in dem das Theater bis heute spielt.

Zur Eröffnung gab es Fächer, Federn und halbnackte Tänzerinnen. Im Publikum saß DDR-Staatschef Erich Honecker. "Es war die wichtigste Nachricht des Tages", schrieb das Magazin "Der Spiegel" damals über die Eröffnungsshow, "seit dem 27. April 1984, 19 Uhr, verfügt die Deutsche Demokratische Republik über ein Nachtleben."

Der Sprecher der "Aktuellen Kamera" habe mit "der gewohnt ernsten Miene des beruflichen Klassenkämpfers" die Nachricht verlesen, dass "das Ballett "erfreulich langbeinig" sei", heißt es in dem "Spiegel"-Artikel. Bis heute tanzen Frauen und manchmal auch Männer die Kickline: Sie werfen in einer Reihe ihre Beine hoch.

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Die tanzende "Girl"-Reihe ist ein Markenzeichen des Friedrichstadt-Palasts. Designer Michael Michalsky sagte gerade in einer rbb-Doku zum Friedrichstadt-Palast, sollte er mal eines Tages Milliardär sein, werde er in einem schönen Haus am Grunewald wohnen. "Und statt einem Wecker werde ich die Girl-Tanzreihe haben."

Heute arbeiten 60 Tänzer im Friedrichstadt-Palast. Eine von ihnen ist die Italienerin Veronica Sala. Sie trägt ein grün-glitzerndes Kleid - mit einem blauen Hut des Designers Philip Treacy. Der Hutmacher hat unter anderem für US-Popstar Lady Gaga gearbeitet. Für die aktuelle Show "Vivid" hat er mehrere Kopfbedeckungen entworfen.

Tänzerin Sala mag an ihrer Arbeit, dass sie verschiedene Stile tanzen kann. Zeitgenössisch und modern, mal mit Spitzenschuhen, aber eben auch die Kickline. Ja, das sei anstrengend, aber es gebe ihr Kraft, auf so einer großen Bühne zu tanzen. "Es macht einfach Spaß." Nach der Vorstellung helfe dann manchmal ein Fußbad.

Die Bühne mit rund 2200 Quadratmetern wird gerne als größte der Welt beworben. Die "FX-Abteilung" kümmert sich um Spezialeffekte wie Feuerwerk und Laser. "Wir haben alleine hier fünf verschiedene Sorten Nebel und zehn verschiedene Sorten Nebelmaschinen", sagt Eichler. Eine halbe Million Besucher waren dieses Jahr bereits in den Revuen.

Dabei gab es auch schwierige Zeiten. Nach dem Mauerfall 1989 etwa. Die Menschen hätten erstmal gucken wollen, was es an anderen Orten noch Neues gebe, sagt Eichler. "Das war schon eine ziemlich haarige Zeit." Im Jahr 2007 brauchte das Theater eine öffentliche Finanzspritze. Mittlerweile ist das Haus viele Abende ausgebucht.

In der Show fällt Glitzer von der Decke, ein Mann trägt Bananenröckchen und Künstler im Froschkostüm machen Faxen. In einer Szene hängen zwei Artisten von der Decke - und halten sich nur mit ihren Zähnen am Seil fest. Die Geschichte von "Vivid" erinnert an "Alice im Wunderland": Ein Mädchen verliert sich in der Androidenwelt und findet sich nach langer Reise schließlich selbst.

Zwischen Rollschuhen und Disco-Musik, Blaskapelle und Halbnackten gibt es Lebenslektionen. "Wer bist Du, wenn Dich keiner beobachtet?", fragt zum Beispiel eine Stimme. Oder "Wann hast Du zuletzt etwas zum ersten Mal gemacht?". Eine der Textzeilen zum Schluss: "Ich hätte niemals gedacht, dass es so funktioniert. Dass man sich nur finden kann, wenn man sich auch mal verliert." Zuschauer gönnen sich in der Pause ein Gläschen Sekt. "Einfall toll."

Zum Team hinter der Bühne gehört Maskenbildnerin Antje Potthast. Sie steht zwischen Perücken, Haarspray und Make-up-Töpfchen. Zwei Künstler werden gerade geschminkt und unterhalten sich über die Wohnungssuche in Berlin. In dem Maskenraum geht es hin und her, auf Deutsch, Englisch und später Spanisch.

Fragt man Potthast, was die Menschen an den Shows fasziniert, fallen ihr viele Punkte ein. Die Musik, die Kostüme, die Stimmung und die Artistik. Dass man sich einfach mal - "nach einem harten Alltag oder vielleicht auch einem harten Leben" - irgendwohin begeben könne, wo man sich "einfach nur berieseln" lasse. "Und sich erfreut an schönen Dingen des Lebens." (dpa)

www.palast.berlin