Momoland: Die Scheinwelt des K-Pops | STERN.de


Wer das Musikvideo von "Wrap Me In Plastic" schaut, taucht ein in eine Fantasiewelt voller Glitzer, schriller Outfits und schöner Frauen. Zu schnellen Beats tanzt Momoland eine Choreografie, die im Kopf bleiben soll. Englische Textzeilen wechseln mit koreanischen. Nancy, Ahin, JooE, Hyebin, Nayun und Jane, die vor Selbstbewusstsein nur so zu strotzen scheinen, singen auf Englisch "Behandle mich anständig und kauf mir Schuhe".


Vor weißer Wand und auf schwarzen Klappstühlen ist die Band kaum wiederzuerkennen. Im Hintergrund prangt das Logo von MLD Entertainments. Während alle darauf warten, dass das Interview beginnt, lächeln und winken die Bandmitglieder in die Kamera. Beinahe synchron. Jede von ihnen ist schlicht gekleidet, trägt Chucks und Pullover – ganz schlicht, trotzdem perfekt geschminkt und frisiert.


Die Beantwortung der ersten Frage soll einfach fallen und die Stimmung etwas auflockern. Was genau macht K-Pop eigentlich aus und inwiefern verkörpert Momoland dieses Genre? Ahin möchte darauf nicht antworten und gibt das Mikro weiter an Nancy, die hilfesuchend in die Richtung der Manager schaut. Unklar ist, ob sie die Frage nicht verstanden hat oder keine Antwort weiß. Männliche Stimmen sind zu hören. Koreanische Wörter fallen. "K-Pop ist Popmusik, koreanische Popmusik. Es ist unser eigenes Musikgenre", lautet Nancys Antwort.


Spätestens seit dem Welterfolg "Gangnam Style" von Psy haben die meisten das Wort K-Pop zumindest mal gehört. Die Musik ist eine wilde Mischung aus verschiedenen Genres wie Rap, Rock und Techno. Markenzeichen sind die aufwendig produzierten Musikvideos und Tanzchoreografien. Mit Millionen Klicks auf Plattformen wie YouTube hängen die K-Pop-Bands Megastars wie Justin Bieber ab.


Momoland gilt in der Szene als Underdog, weil sie nicht zu den drei größten Talentagenturen des Landes gehört. SM Entertainment, YG und JYP dominieren die Szene und haben Bands wie BLACKPINK unter Vertrag. Dennoch traf Momoland 2018 mit ihrem Hit-Minialbum "GREAT!" einen Nerv. Der Titelsong "BBoom BBoom" gewann mit mehr als 480 Millionen Aufrufen auf YouTube viel Zuspruch von lokalen und globalen Zuhörern und sprang in seiner zweiten Woche in die Top 5 der Billboard's World Digital Song Sales Charts. Kurz darauf schrieb das "Forbes"-Magazin über Momoland, da sie neben Blackpink und BTS die meistgesehenen K-Pop-Videos hatten, die YouTube 2018 veröffentlichte.


Bei der Frage, wie viel Druck es ausübe, den Erfolg von "Bboom Bboom" toppen zu müssen, schaut sich die Girlgroup fragend an. Nancy gibt das Mikro wieder an Ahin, die nicht glücklich darüber scheint. Ihr rutscht das Lächeln etwas aus dem Gesicht. Schon wieder sind männliche Stimmen und koreanische Worte zu hören. Der Druck sei immer groß, sagt Nancy dann. Das sei aber okay. "Wrap Me In Plastic" zählt bis dato erst 4 Millionen Klicks.

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Lustig ist, dass der Song nicht in Südkorea geschrieben wurde, sondern in Kreuzberg. Zwei Berliner, die mit bürgerlichem Namen Johannes Becker und Marcus Layton heißen, haben ihn aus Spaß erfunden. Und das schon 2017. Der Hype hat lange auf sich warten lassen, ist dafür aber jetzt umso größer. Mehrere offizielle und inoffiziellen Versionen des Songs sind viral gegangen. Vor allem bei TikTok wurde er zum Ohrwurm und Choreografien wurden zu Tanzchallenges. Weil Layton und Becker sich so wenig mit dem Song identifizieren konnten, veröffentlichten sie ihn unter dem Synonym "Chromance". Und diese Kunstfigur mit silberner Maske hat sich nun mit Momoland zusammengetan und eine K-Pop-Version des Lieds auf den Markt gebracht. Nancy, Ahin, JooE, Hyebin, Nayun und Jane sind stolz auf "Wrap Me In Plastic". Vor allem Nancy und Ahin schwärmen von der Zusammenarbeit.


Doch K-Pop hat nicht nur Fans. In der Musikszene ist immer wieder die Rede von Sklavenverträgen, künstlerische Freiheit gebe es kaum. Talentagenturen nehmen Hoffnungsträger im Kindesalter unter Vertrag und bilden sie zu "Idols" aus. Ahin erklärt: "Es ist unser Traum, ein Idol zu sein. Natürlich müssen wir immer superschlank sein und wunderschön aussehen, aber so ist das eben in dem Geschäft."


Neben mehrstündigem Tanz- und Gesangsunterricht jeden Tag werden Fremdsprachen gelernt und der tadellose Umgang mit Fans und Journalisten. Tadellos bedeutet in diesem Fall immer lächeln und freundlich sein. Oft verdienen die Bandmitglieder jahrelang wenig Geld, weil die Ausbildung, das Tanztraining, die Choreografen, die Assistenten, die Songschreiber und das Wohnheim von dem Gehalt der Stars abgezogen werden.


Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Band TVXQ, die 2009 ihre Agentur SM Entertainment verklagten, da die 13-Jahres-Verträge zu lang seien und sie für ihren Erfolg kaum Geld bekämen. Das Gericht entschied zugunsten von TVXQ, woraufhin drei der Mitglieder SM Entertainment verließen und ihr eigene Agentur gründeten.


Textzeilen in "Wrap Me in Plastic" wie "Ich nenne dich Meister, du kannst mich dein Eigentum nennen" sind Nährboden für Kritiker des K-Pops. In dem Kontext der beschnittenen künstlerischen und privaten Freiheit der K-Pop-Stars, wirken solche Zeilen grotesk. "Chromance" möchte sich in diese Diskussion aber nicht einmischen. Dem "Spiegel" sagten sie: "Wir werden nicht erklären, ob die Zeilen etwas Bestimmtes bedeuten sollen, aber die Oberflächlichkeit unserer Gesellschaft wird doch darin schön gespiegelt." Auch Momoland weiß auf die Frage, was die Aussage von "Wrap Me In Plastic" ist keine Antwort. Es wird um eine nächste Frage gebeten.


Die Diskrepanz zwischen den Frauen in "Wrap Me In Plastic" und denen auf den schwarzen Klappstühlen könnte größter kaum sein. Nancy und Ahin sind die Einzigen, die reden. Mit 20 und 21 sind sie zwar die jüngsten Bandmitglieder, scheinen aber die Anführerinnen zu sein. Erst bei mehrfacher Aufforderung, wenigstens ihr eigenes musikalisches Vorbild zu verraten, wird das Mikro an den Rest der Band weitergereicht. Hyebin wirkt so, als habe sie das Mikrofon ungern in der Hand. Sie schaut verunsichert von links nach rechts, flüstert mit Jane, die neben ihr sitzt und haucht dann in das Mikro: "Avril Lavigne".