Seltsam vertraut wirken diese Bilder, die der Film in dokumentarisch anmutenden Aufnahmen zeigt, dabei liegen die Ereignisse über 30 Jahre zurück. Vor der US- Botschaft in Teheran haben sich am 4. November 1979 – auf dem Höhepunkt der iranischen Revolution, die den Schah stürzte und Ayatollah Chomeini inthronisierte – Hunderte von Menschen versammelt. Militante Demonstranten erstürmen das Gelände und nehmen 52 Amerikaner als Geiseln, um die Auslieferung des Schahs zu erzwingen. Es sind traumatische Szenen. Sie erzählen von der Verwundbarkeit einer Großmacht, die plötzlich vor den Scherben ihrer verfehlten Außenpolitik steht.
Zugleich entwickeln diese Bilder, die an die Anschläge auf US-Vertretungen in Bengasi, Kairo oder Tunis vor wenigen Wochen erinnern, aktuelle Brisanz. Ausgehend von den historischen Ereignissen, die damals die amerikanische Nation erschütterten, erzählt Ben Affleck in seiner dritten Regiearbeit „Argo“ eine auf wahren Begebenheiten basierende Geschichte. Sie handelt davon, wie die CIA sechs Botschaftsangehörige, die sich in die kanadische Vertretung geflüchtet hatten, mit Hilfe einer aberwitzigen Legende außer Landes brachte. Nach drei Monaten kamen sie aus ihrem Versteck frei, während die anderen Geiseln 444 Tage auf die Befreiung warten mussten.
„Es ist schon unglaublich, dass wir heute immer noch mit denselben Themen beschäftigt sind“, sagt Regisseur Ben Affleck im Interview während des Festivals von Toronto – seit der dortigen Premiere wird der Film heftig für die Oscars gehandelt. „Im Iran regiert zwar nicht mehr Chomeini, sondern Ahmadinedschad, aber das Regime hat sich wenig geändert. Auch die Empfindlichkeiten zwischen den USA und dem Iran bestehen weiterhin.“ Affleck treibt die historischen Parallelen noch weiter: „Mitte der fünfziger Jahre hatten die USA einen Umsturz gegen die demokratisch gewählte Regierung angezettelt und den Schah als Autokraten eingesetzt. Zwischen dem Schah und Herrschern wie Mubarak in Ägypten oder Assad in Syrien, die bis vor kurzem von den USA toleriert wurden, besteht kein großer Unterschied.“ Die Folgen sind stets höchst riskant: Widerstand und Revolution. Man wisse nie, wie das ausgeht.
Die Besonderheit der Rettungsaktion: Hollywood selbst beteiligte sich daran. Die Geheimdienstler – allen voran Top-Agent Tony Mendez, den Affleck selbst mit halblangem Haar und dunklem Vollbart spielt – hatten sich einen brillanten Fake ausgedacht. Die sechs Versteckten wurden mit neuen Papieren und detaillierten Biografien ausgestattet und den Iranern gegenüber als Mitglieder einer kanadischen Filmcrew ausgegeben, die angeblich in der Wüste einen Thriller namens „Argo“ drehen will. Alan Arkin spielt in Afflecks Film den Produzenten Lester Siegel, der dafür sorgt, dass das Pseudo-Filmprojekt mit Drehbuchlesungen und Pressekonferenzen erst mal in aller Munde ist. Eine weitere reale Figur ist der Make-up-Artist und CIA-Mann John Chambers, den John Goodman verkörpert – die Veteranen Arkin und Goodman bereichern den Film durch pointenreiche Dialoge, in denen sie den Hollywoodbetrieb mit knochentrockenem Understatement aufs Korn nehmen.
Seinerzeit fungierte der Maskenbildner als Mittelsmann zwischen Hollywood und der großen Politik. „John Chambers ist eine Legende, so bekannt wie Marlon Brando unter den Schauspielern“, erklärt Ben Affleck. „Er hat die Masken für ,Planet der Affen’ und für ,Star Trek’ gemacht, auch die Ohren von Mr. Spock stammen von ihm.“ In seiner Werkstatt ging Chamber aber noch einer anderen Arbeit nach. „Hinter einer Tür mit einem dicken Schloss verbarg er die Masken, die er für die CIA anfertigte. Mit deren Hilfe wurden Leute unerkannt aus Krisenregionen geschleust.“ Kein Wunder, dass Chambers für seine Verdienste nicht nur mit dem ersten Make-up-Oscar ausgezeichnet worden ist, sondern auch mit dem höchsten Orden der CIA.
Vor allem die Freude an der Finte verleiht dem Thriller – bei allem ernsten historischen Hintergrund – komödiantische, zuweilen sogar farcenhafte Züge. Das komplizierte Austüfteln und Glaubwürdigmachen der erfundenen Story, die den in der kanadischen Botschaft Versteckten die unauffällige Ausreise aus Iran garantieren soll, sieht Affleck auch in größerem Zusammenhang. In seinen Augen unterscheidet sich das politische Theater gar nicht so sehr von der Herstellung eines B-Movies. „Beiden geht es ums Geschichtenerzählen – und darum, Macht über die Menschen zu gewinnen. Was unterscheidet Politik und Unterhaltung, Nachrichten und Entertainment denn heute noch? Hollywood ist der beste Geschichtenerzähler und sein Einfluss auf die Politik ist groß.“
So verbinden sich in „Argo“Komödie und Politthriller zu einem spannenden Kinofilm. Der Zynismus der Filmbranche und der Bierernst der politischen Akteure greifen dabei wirkungsvoll ineinander, zudem erscheint der Hollywoodbetrieb der siebziger Jahre wie mit einem Schleier der Nostalgie überzogen.
Der mit 40 Jahren noch immer junge Regisseur, der mit „Gone Baby Gone“ und „The Town“ zwei viel beachtete Genrestücke vorgelegt hat, verteidigt diese Retro-Seligkeit. „ Ich mag die analoge Version von Hollywood. Heute ist die Filmindustrie völlig durchdigitalisiert, und die Großkonzerne verschieben dort nur noch unglaubliche Geldmengen“, sagt Affleck. „ Ich finde es romantisch, dass in den späten Siebzigern noch kleine Produzenten mit eigenwilligen Ideen am Spieltisch saßen. Diese Ära hatte eine gewisse Schäbigkeit, die ich sehr sexy finde.“
Auch Ben Afflecks Karriere hat, bevor sie zu leuchten begann, düstere Zeiten erlebt. Nach einem starkem Start als Mittzwanziger und dem Drehbuch-Oscar zusammen mit Matt Damon für „Good Will Hunting“ machte Affleck als Schauspieler zeitweilig eher durch die berüchtigten Goldenen Himbeeren – dem Anti-Oscar – von sich reden. Tiefpunkt war die romantische Gangsterkomödie „Gigli“ (2003), in der er mit Jennifer Lopez vor der Kamera stand und weder die Komik noch die Spannung noch die Romantik zünden mochten. Seit jenem Millionenflop aber scheinen Jahrzehnte vergangen – erst recht, seit Affleck Regie führt.
Und warum hat er sich, wie in „The Town“, selber in der Hauptrolle besetzt? „Es hat viele Vorteile, wenn man beide Jobs macht. Nicht nur vor der Kamera, sondern auch im Schnittraum hat man die Kontrolle über die eigene Performance.“ Und dann gibt es da noch einen ganz praktischen Grund, den Affleck offenherzig benennt. „Wenn ich mich nicht selbst casten würde, wäre ich als Schauspieler für zwei Jahre weg vom Markt. Das Filmgeschäft hat ein brutal kurzes Gedächtnis. Und in Hollywood ist man immer nur so gut wie sein letzter Film.“
Der wahre Tony Mendez übrigens war gleich 1980 von Jimmy Carter mit Orden dekoriert worden, streng geheim. Erst 1997 wurde die Story publik gemacht, zum 50. Geburtstag der CIA unter Präsident Clinton. Als „Master of Disguise“ schrieb der heute 72-jährige Ex-Agent mehrere Bücher. Nun kann er sich freuen, dass Hollywood den spektakulärsten Fake in der Geschichte der CIA noch einmal zu seiner Sache macht.
Ab Donnerstag in den Kinos Alhambra,
Cinemaxx, Cinestar SonyCenter (OV) und Tegel, Colosseum, Kulturbrauerei und
Rollberg (OmU)